E.M. Remarque
nicht mehr da. Sie
können zurückkehren. Wozu? Wohin? Und wer will sie schon haben? Man kann nicht
zurück.«
»Viele werden hier bleiben.«
Er machte eine abwehrende Geste. »Ich meine
die Verletzlichen. Nicht die Geschäftemacher.«
»Ich meine alle«, sagte ich. »Auch die
Geschäftemacher.«
Kahn lächelte. »Prosit, Robert. Ich rede
heute nichts als Unsinn. Es ist gut, daß Sie da sind. Radioapparate sind gute
Sprecher, aber schlechte Zuhörer. Können Sie sich vorstellen, daß ich mein
Leben als Vertreter für Radioapparate beschließe?«
»Warum nicht?« sagte ich. »Aber warum
beschließen? Beschließen Sie es als Besitzer der Fabrik.«
Er sah mich an. »Halten Sie das für möglich?«
»Eigentlich nicht recht«, sagte ich.
»Gut, Robert.«
Er lachte. »Der Cheval Blanc ist
ausgetrunken«, sagte ich. »Wir haben vergessen, den Göttern die letzten Tropfen
zu opfern. Vielleicht sind wir deshalb unnötig melancholisch geworden. Wie wäre
es mit einer Portion Eis für Sie? Sie essen es doch so gerne!«
Er schüttelte den Kopf. »Alles Bluff,
Robert. Illusion des leichten Lebens. Selbst-Bluff. Ich habe es aufgegeben, mir
selbst den Heiteren vorzuspielen. Der Gourmet. Der Schwindler. Ich werde ein
alter Jude.«
»Ein alter Jude von fünfunddreißig?«
»Juden sind immer alt. Sie werden alt
geboren. Auf jedem liegen zweitausend Jahre Verfolgung – von dem Moment
an, in dem er seinen ersten Schrei tut.«
»Wollen wir eine Flasche Wodka mitnehmen
und sie unter Gesprächen über das Leben austrinken?«
»Juden sind auch keine Trinker. Ich werde
nach Hause gehen in mein Zimmer über dem Laden und morgen über mich lachen.
Gute Nacht, Robert.«
Ich war tief beunruhigt. »Ich bringe Sie
nach Hause«, sagte ich.
Nach der Wärme des Lokals empfing uns jetzt
ein klirrender Frost. Die Drugstores und Hamburger-Läden starrten mit ihrem
unbarmherzigen, gefrorenen Neonlicht in die windige Nacht. »Es gibt
Situationen, in denen es lächerlich ist, heroisch allein sein zu wollen«, sagte
ich. »Ihre kalte Bude ...«
»Sie ist überheizt«, unterbrach Kahn mich.
»Wie alles in New York.«
Ȇberheizt und kalt wie das verfluchte
Neonlicht, das die Trostlosigkeit selber ist, wenn man allein durch die Straßen
rennt und mit den Zähnen klappert. Warum kommen Sie nicht in die Plüschbude des
Hotels Reuben? Zwischen Homosexuellen, Luden, Selbstmördern und Mondsüchtigen
ist man geborgener als sonst wo. Seien Sie vernünftig und kommen Sie mit!«
»Morgen«, sagte Kahn. »Heute habe ich eine Verabredung.«
»Unsinn.«
»Doch«, sagte er. »Mit Lissy Koller.
Glauben sie es nun?«
Der Zwilling, dachte ich. Warum nicht? Es
war merkwürdig, aber der Zwilling schien mir noch weniger zu Kahn zu passen als
Carmen. Der Zwilling war hübsch, häuslich, liebebedürftig wie eine verirrte
Katze und viel weniger dumm als Carmen, aber plötzlich in der eisigen Nacht
ging mir auf, warum Kahn nur Carmen haben konnte – es war ein
Nebeneinander, das in seiner absoluten Sinnlosigkeit die Sinnlosigkeit des
entwurzelten Daseins aufhob.
Kahn blickte die Straße entlang, die voll
war von den roten Schlußlichtern der Autos, die wie verstreute Kohlen die
Dunkelheit vergeblich zu erwärmen versuchten. »Dieser Schattenkrieg mit
unsichtbaren Verwundeten und unsichtbaren Toten, mit stummen Bomben und stummen
Friedhöfen auf der anderen Seite der Erde geht zu Ende. Was wird bleiben?
Schatten, Schatten – wir auch!«
Wir waren vor dem Radioladen angekommen.
Die Apparate glitzerten im Mondlicht, wie automatische Soldaten eines
zukünftigen Krieges. Ich sah hinauf. Das Fenster von Kahns Zimmer war
erleuchtet. »Schauen Sie nicht um sich wie eine besorgte
Weitere Kostenlose Bücher