E.M. Remarque
Bruthenne«, sagte
Kahn. »Sie sehen, ich habe das Licht brennen lassen. Ich komme nicht in ein
dunkles Zimmer.«
Ich dachte an den Zwilling, der auch vor
seinem Zimmer Angst gehabt hatte. Vielleicht hockte er wirklich oben und kämmte
sich. Es stimmte alles nicht und machte es nur trostloser. »Wird es eigentlich
noch kälter in New York?« fragte ich.
»Viel kälter«, sagte Kahn.
***
Natascha trug Ohrringe aus
großen Rubinen, eine Kette aus Rubinen und Diamanten und einen herrlichen Ring.
»Der Ring ist zweiundvierzig Karat«, flüsterte der Photograph Horst mir zu.
»Wir wollten eigentlich einen großen Sternrubin dafür haben, aber es gibt keine
im Handel. Selbst bei van Cleef und Arpels hat man keinen. Wir wollen nämlich
auch Aufnahmen ihrer Hände machen. In Farben. Nun, den Stern kann man
hineinretuschieren. Sogar einen schöneren, als es ihn in Wirklichkeit gibt«,
fügte er mit Genugtuung hinzu. »Heutzutage ist ja alles Montage!«
»Ja?« fragte ich und sah Natascha an. Sie
saß still in einem weißen Satinkleid, überrieselt von den Rubinen, auf der
Plattform im weißen Licht. Nichts erinnerte daran, daß sie am Abend vorher auf
meinem Bett gelegen und geschrien hatte, heiser und wie ein nackter Bogen
gekrümmt: Tiefer, tiefer! Brich mich in Stücke! Tiefer! Zerreiß mich!
»Natürlich«, sagte Horst. »Die Frauen und
die Politiker. Mehr und mehr Montage. Falsche Brüste, Schaumgummihintern,
Schminke, falsche Augenwimpern, Perücken, falsche Zähne – das Ganze ein
betörendes Bild. Dazu komme ich mit weicher Einstellung, unscharfer Linse,
raffinierten Lichteffekten, die Jahre schmelzen wie Zucker im Kaffee, voilà.
Und die Politiker? Die meisten können kaum lesen und schreiben. Sie haben
kleine kluge Juden, die ihre Reden schreiben, Agenturen, die ihnen Bonmots
zuschieben, Autoren für ihre Bücher, Berater hinter ihrem Rücken, Schauspieler,
die ihnen Haltung beibringen, und eventuell Grammophone, die für sie sprechen.«
Er stand auf und sprang zu seinem Apparat. »Das ist gut, Natascha. Halte es
einen Augenblick so!«
Natascha stieg von ihrer Plattform und aus
ihrem weißen Licht herunter und verwandelte sich aus der Kaiserin in die von
Schmuck glitzernde Frau eines Waffenmillionärs. »Ich ziehe mich rasch um«,
sagte sie. »Haben wir noch von dem Gulasch?« Ich schüttelte den Kopf. »Es hat
für drei Tage gereicht. Gestern abend haben wir die Schüssel ausgekratzt. Mußt
du die Juwelen mitnehmen?«
»Nein. Der blonde junge Mann drüben ist von
van Cleef. Er nimmt sie mit.«
»Gut. Dann können wir gehen, wohin wir
wollen.«
»Ich muß noch eine Aufnahme machen. Ein
Frühlingskostüm. Gott, bin ich hungrig.«
Ich griff in die Tasche. Ich kannte diese
Hungeranfälle bei ihr. Sie hatte das Gegenteil von Diabetes, es hatte den
scheußlichen Namen Hypoglykämie und war nichts weiter, als daß der
Zuckerspiegel ihres Blutes rascher sank als bei normalen Menschen. So wurde sie
schlagartig hungrig. Ich hatte sie während der Zeit, als sie in der 57. Straße
wohnte, nachts, wenn ich aufgewacht war und Diebe vermutet hatte, oft vor dem
Eisschrank gefunden: Nackt, vom Innenlicht des Eisschranks magisch beleuchtet
und hingebungsvoll an einem kalten Kotelett nagend, ein Stück Käse in der
andern Hand.
Ich holte ein Päckchen heraus, in
Pergamentpapier eingehüllt. »Etwas Steak-Tartar«, sagte ich. »Als
Zwischengericht.«
»Mit Zwiebeln?«
»Mit Zwiebeln und dunklem Brot.«
»Du bist ein Engel«, erklärte sie, schob
das Halsband beiseite und begann zu essen. Ich hatte mich daran gewöhnt, diese
Päckchen immer in die Tasche zu stecken, wenn wir irgendwohin gingen, wo es für
einige Stunden nichts zu essen gab, und ich nahm sie besonders dann mit, wenn
das in die Zeit fiel,
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