E.M. Remarque
tun?«
»Nichts. Das kann nur der Gangster.
Vielleicht kriegt er ihn frei. Er hat einen sehr geschickten Rechtsanwalt. Und
er muß etwas für ihn tun, damit Melikow ihn nicht belastet.«
»Woher weißt du das alles?«
»Von Raquel.«
Natascha schaute sich um. »Wo ist der Kuchen
geblieben?«
»Hier. Was fehlt, habe ich gegessen.«
Sie lachte. »Der Hunger der Angst, wie?«
»Nein. Der Hunger der Vorsicht. Den Kaffee
hat Pedro getrunken. Willst du welchen?«
»Ich glaube, es ist besser, wenn ich gehe.
Zweimal wird man nicht gerettet. Man weiß nicht, ob die Polizei nicht noch
einmal kommt.«
»Gut. Ich bringe dich nach Hause.«
»Nein, bleib hier. Es kann sein, daß man
unten noch einen Beobachter gelassen hat. Wenn ich allein komme, kann ich
sagen, ich hätte Raquel besucht. Ziemlich abenteuerlich, wie?«
»Zuviel für mich. Ich hasse Abenteuer.«
Sie lachte. »Ich nicht.«
Ich brachte sie bis zur Treppe. Sie hatte
plötzlich Tränen in den Augen. »Armer Wladimir«, murmelte sie, »arme
herumgestoßene Seele.«
Sie ging rasch und sehr aufrecht die Treppe
hinunter. Ich kehrte zurück in meine Bude und betrachtete die Unordnung. Dann
räumte ich den Tisch auf. Das war etwas, was mich immer etwas melancholisch
machte. Wahrscheinlich, weil nichts im Leben von Dauer war, nicht einmal ein
verfluchter Schokoladekuchen. In einer Anwandlung von plötzlicher Wut öffnete
ich das Fenster und warf den Rest des Kuchens in den Hof. Mögen die Katzen ein
Fest feiern, wenn meines schon vorbei war. Das Hotel schien ohne Melikow auf
einmal leer zu sein. Ich ging hinunter. Niemand war da. Hier mied man Plätze,
wo die Polizei gewesen war, als hätte sie die Pest mitgebracht. Ich wartete
eine Zeitlang und fing sogar an, in einem alten Heft von Time zu lesen, das ein
Gast liegengelassen hatte, aber mich irritierte die Allwissenheit dieses
Magazins, das mehr wußte als Gott selbst und das alles in fertigen kleinen
Paketen und etwas preziös aufgemacht lieferte. Ich schlich durch die auf einmal
verwaiste Halle und dachte daran, daß man einen Menschen erst dann schätzt,
wenn er nicht mehr da ist; eine verdammt triviale, darum aber um so
niederdrückendere Wahrheit. Ich dachte an Natascha und daran, daß es nun
schwieriger sein würde, sie in mein Zimmer zu schmuggeln. Ich wurde immer
melancholischer und füllte mich wie eine Regentonne bei einem Platzregen mit
Selbstmitleid. Es war ein grauer Tag gewesen, ich war voll von vergangenen
Abschieden, und dann dachte ich an die kommenden, und das machte mich ganz
elend, weil ich keinen Ausweg wußte. Ich fürchtete mich vor der Nacht und
meinem Bett und davor, daß die klebrigen Träume mich begraben könnten. Ich
holte meinen Mantel und ging durch die klirrende weiße Stadt, um mich müde zu
machen. Ich suchte die Straßen, ich ging die ganze totenstille Fifth Avenue
hinauf bis zum Central Park. Die Fenster links und rechts von der verlassenen
Straße leuchteten wie Glassärge, als wäre vor den Auslagen ein Schauer von
Eisregen gefroren. Ich hörte auf einmal meine Schritte und dachte an die
Polizei im Hotel und dann an Melikow in irgendeinem Käfig, und dann wurde ich
sehr müde und kehrte um. Ich ging schneller und schneller, weil ich gelernt
hatte, daß es manchmal die Trauer mindert, aber ich war zu müde, um zu merken,
ob es so war oder nicht.
XXXII.
P lötzlich ging alles sehr
schnell. Die Wochen zerschmolzen wie der Schnee auf den Straßen. Ich hörte eine
Zeitlang nichts mehr von Melikow. Dann war er eines Morgens wieder da. »Du bist
frei«, sagte ich. »Ist alles vorüber?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich bin frei gegen
Kaution. Die Verhandlung kommt erst noch.«
»Kann man dir etwas nachweisen?«
»Es ist besser, wenn wir nicht darüber
reden. Und es ist besser, wenn du nicht fragst, Robert.
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