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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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Denk­mal
Schil­lers, das sich eben­so fremd aus­nahm. Viel­leicht hat­te ein Aus­land­deut­scher
es vor Jahr­zehn­ten ge­stif­tet. Im Au­gen­blick hat­te ein Ero­ti­ker es ver­schönt.
Mit ro­ter Far­be war ein üp­pi­ger ge­bück­ter Frau­en­hin­tern dar­auf ge­zeich­net, der
von ei­nem Mann mit ei­ner Bril­le von hin­ten ver­ge­wal­tigt wur­de. Es war nicht
ein­mal ei­ne un­ge­schick­te Zeich­nung, aber sie paß­te schlecht zum Ver­fas­ser der
›Jung­frau von Or­léans‹. Ich wan­der­te wei­ter und wur­de von ei­nem wür­di­gen
Voll­bart an­ge­spro­chen. Ich ver­mu­te­te zu­erst, er sei der Ma­ler, merk­te aber, als
er frag­te, ob ich schon ge­früh­stückt hät­te, daß ich einen ly­ri­schen
Ho­mo­se­xu­el­len vor mir hat­te, und schüt­tel­te ihn ab. In­zwi­schen war es Zeit
ge­wor­den, ins Mu­se­um zu ge­hen.
    Ich war schon meh­re­re Ma­le da­ge­we­sen. Es
er­in­ner­te mich an die Zeit, die ich im Mu­se­um in Brüs­sel zu­ge­bracht
hat­te – und merk­wür­di­ger­wei­se am meis­ten an die Stil­le dar­in. Die
gren­zen­lo­se, ge­quäl­te Lan­ge­wei­le der ers­ten Mo­na­te dort, die mo­no­to­ne Span­nung,
die stän­di­ge Angst die­ser Zeit, ent­deckt zu wer­den, die erst all­mäh­lich in ei­ne
Art fa­ta­lis­ti­sche Ge­wohn­heit über­ge­gan­gen war, al­les das schi­en un­ter den
Ho­ri­zont ge­sun­ken zu sein. Ge­blie­ben war nur die un­heim­li­che Stil­le, die­ses
Her­aus­ge­ho­ben­sein aus je­dem Zu­sam­men­hang, die­ses Le­ben in dem stil­len Kern
ei­nes Tor­na­dos, um­braust von den Wir­beln des Sturms, aber im­mer schein­bar
ge­bor­gen in ei­ner Wind­stil­le, in der kein Se­gel flat­ter­te oder sich rühr­te.
    Ich hat­te beim ers­ten Mal Angst ge­habt, daß
in mir mehr wie­der ge­weckt wür­de, aber es war, als ber­ge mich die­ses Mu­se­um in
New York in die­sel­be schüt­zen­de Stil­le. Nichts hat­te sich ge­rührt, als ich
zö­gernd durch die Räu­me schritt. Der Frie­de, der selbst von den
lei­den­schaft­lich be­weg­ten Kampfs­ze­nen an den Wän­den aus­ging und der et­was
son­der­bar Me­ta­phy­si­sches hat­te, et­was von ei­nem ›Hin­ter al­lem‹ und ›Nach
al­lem‹ – die­ser un­ge­heu­re Frie­de der Ver­gan­gen­heit, der Frie­de war, ge­ra­de
weil er ver­gan­gen war, die­ser Frie­de, von dem der Pro­phet sprach, als er sag­te,
daß Gott nicht im Sturm, son­dern in der Stil­le sei – die­ser durch­sich­ti­ge
Frie­de hielt al­les an sei­nem Ort, er ließ den Krieg nicht mehr in der Flä­che da
sein und nicht mehr im Raum kämp­fen, und er schi­en auch mich zu schüt­zen. Ich
hat­te hier, in die­sen Räu­men, plötz­lich das gren­zen­lo­se, rei­ne Ge­fühl des
Le­bens ge­habt, das die In­der Sa­madhi nen­nen und das man nie ver­gißt, wenn es
ein­mal wie ei­ne stei­le Fon­tä­ne zwi­schen den Au­gen auf­ge­bro­chen ist und sich
über ei­nem ver­liert, ganz gleich, ob es bleibt oder nicht. Was bleibt, ist der
Re­flex der be­zau­bern­den Il­lu­si­on der Welt: Daß Le­ben ewig ist und daß wir ewig
le­ben, wenn es nur ge­lingt, die Schlan­gen­haut des Ichs ab­zu­strei­fen und zu
wis­sen, daß der Tod ei­ne Ver­wand­lung ist. Ich hat­te die­se Il­lu­si­on vor der
An­sicht von To­le­do ge­habt, die­ser düs­te­ren und er­ha­be­nen Land­schaft Gre­cos, die
di­rekt ne­ben dem viel grö­ße­ren Bil­de des Großin­qui­si­tors hing, die­ses gü­ti­gen
Ur­bil­des der Ge­sta­po und al­ler Fol­ter der Welt. Ich wuß­te nicht, ob das einen
Zu­sam­men­hang hat­te, ich fühl­te in die­ser leuch­ten­den Se­kun­de, daß nichts und
al­les einen Zu­sam­men­hang ha­be und daß die­ser Zu­sam­men­hang nichts an­de­res war
als ei­ne mensch­li­che Krücke, ei­ne Lü­ge in der einen und ei­ne un­faß­li­che
Wahr­heit in der an­dern Hälf­te. Aber was war ei­ne un­faß­li­che Wahr­heit an­ders als
ei­ne un­faß­li­che Lü­ge?
    Es war kein Zu­fall, der mich ins Mu­se­um
ge­bracht hat­te. Der Tod Möl­lers hat­te mich mehr be­un­ru­higt, als ich er­war­tet
hat­te. Im An­fang hat­te er mich nicht sehr be­rührt, denn ich hat­te Ähn­li­ches in
Frank­reich auf der Flucht oft er­lebt. Auch Has­ten­e­cker, der

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