E.M. Remarque
ein Deutscher, dachte ich, während
ich mit halbem Ohr seinen Darlegungen lauschte und eine Möglichkeit zu
entkommen suchte. Die Koller-Zwillinge erschienen mit großen Platten voll
Ölsardinen, Hühnerleber, Thunfisch und Mayonnaise. Sie teilten Teller aus. Ich sah,
daß Meyer II. der gelegentlich bei Betty auftauchte, einer verstohlen in den
allerdings sehr verlockenden Hintern kniff. Das Leben begann wieder, sich zu
rühren. Es war scheußlich oder großartig, je nachdem, wie man es nahm.
Einfacher war es, dies großartig zu finden.
***
Ich verbrachte den
Nachmittag mit Belehrungen durch Silvers. Er übte mit mir einen Trick, in dem
ich erklärte, daß ein Bild nicht vorhanden sei, obwohl es sich in Wirklichkeit
im Kabinett befand. Es war entweder bei einem der Rockefellers, Fords oder
Mêlions zur Ansicht. »Sie glauben nicht, wie das wirkt«, erklärte Silvers. »Der
Snobismus und der Neid sind zwei unschätzbare Bundesgenossen des Kunsthändlers.
Ebenso wie ein Bild ja auch wertvoller wird, wenn es einmal im Louvre oder im
Metropolitan-Museum ausgestellt war. Obschon es doch dasselbe Bild bleibt,
genügt für die unteren Schichten der Kunstkäufer allein die Tatsache, daß ein
Millionär sich dafür interessiert, um es begehrenswerter zu machen.«
»Und jene Käufer, die Bilder lieben?«
»Der echte Sammler? Ist wieder einmal am
Aussterben. Man sammelt heute, um Geld anzulegen oder zu protzen.«
»Früher nicht?«
Silvers sah mich ironisch an. »In stabilen
Zeiten weniger, da hat das Kunstverständnis Zeit, sich über ein bis zwei
Generationen hinweg zu entwickeln. Nach jedem Kriege findet eine Umschichtung
der Vermögen statt, alte werden verloren, neue gebildet. Alte Sammlungen werden
aufgelöst, Neureiche wollen Sammler werden. Nicht aus unstillbarer Liebe zur
Kunst. Wie soll ein Grundstücksspekulant oder ein Waffenfabrikant sie auch so
plötzlich entwickeln? Sie kommt erst nach den ersten paar Millionen. Zumeist,
weil die Frau es nicht mehr erträgt, keinen Monet zu haben, wenn die Johnsons
schon zwei haben. Es ist wie mit den Cadillacs und Lincolns.« Silvers lachte
sein sanftes gutturales Lachen, das klang, als gluckste eine Quelle in seiner
Brust. »Die armen Bilder. Sie werden in Sklaven verwandelt.«
»Würden Sie einem armen Menschen ein Bild
für einen Teil seines Wertes verkaufen, weil er das Bild mehr als sein Leben
liebt, aber kein Geld hat, es zu bezahlen?« fragte ich.
Silvers strich sich seinen Bart. »Es wäre
leicht, zu lügen und zu antworten: Ja. Ich würde es aber nicht tun. Der arme
Mensch kann umsonst ins Metropolitan-Museum gehen und jeden Tag Rembrandts,
Cézannes, Degas', Ingres und fünf Jahrhunderte Kunst nach Herzenslust
betrachten.«
Ich ließ nicht nach. »Das könnte ihm
vielleicht nicht genügen. Er möchte eines selbst besitzen, um es immer, zu
jeder Zeit, auch nachts, anbeten zu können.«
»Dann soll er Drucke nach Pastellen und
Zeichnungen kaufen«, erwiderte Silvers ungerührt. »Die Drucke sind heute so
gut, daß Sammler darauf hereinfallen und sie für Originale kaufen.«
Ihm war nicht beizukommen. Ich wollte es
auch gar nicht. Ich wollte nur nicht über etwas anderes nachdenken. Als ich von
Betty wegging, hatte Carmen plötzlich gesagt: »Der arme Herr Moller! Da brennt
er jetzt im Krematorium!« Die Idiotie, ihn immer noch als Herrn zu bezeichnen,
hatte mich gereizt, aber das war lächerlich gewesen – was geblieben war
wie ein Zahnschmerz, war das Krematorium. Es war nicht nur ein Bild. Ich kannte
es. Ich wußte, was geschah, wenn sich im Feuer der Tote aufbäumte, als erleide
er einen letzten gräßlichen Schmerz, und das Gesicht sich zerreißend verzerrte,
umweht von der Lohe der verbrannten Haare.
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