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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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im
In­ter­nie­rungs­la­ger durch die schlam­pi­ge fran­zö­si­sche Bü­ro­kra­tie hilf­los und
sinn­los fest­ge­hal­ten wur­de, hat­te, als die Deut­schen nur noch Stun­den ent­fernt
wa­ren, lie­ber den Tod ge­wählt, statt in ih­re blu­ti­gen Hän­de zu fal­len –
aber das ist be­greif­li­che Pa­nik in höchs­ter Ge­fahr. Die­ses war an­ders. Hier
hat­te ei­ner, der ge­ret­tet war, nicht mehr wei­ter­le­ben wol­len, und er war nicht
nur ir­gend­ei­ner, er ging uns al­le an. Ich hat­te es ab­schüt­teln wol­len als einen
Zu­fall, aber es war mir nach­ge­schli­chen und hat­te mich nicht in Ru­he ge­las­sen.
Es war der Grund, daß ich jetzt hier war und von Bild zu Bild ging, bis ich zu
dem Saal mit den Gre­cos kam.
    Die Land­schaft von To­le­do wirk­te heu­te
trü­be und stumpf. Es konn­te viel­leicht am Ein­fall des Lich­tes lie­gen, aber
eben­so an mei­ner ei­ge­nen Trü­be. Ich hat­te da­mals nichts ge­sucht, heu­te war ich
ge­kom­men, um mich von der Land­schaft trös­ten zu las­sen – und das war ei­gent­lich
schon ein klei­ner Be­trug. Kunst­wer­ke sind kei­ne Kran­ken­schwes­tern. Wer Trost
sucht, soll be­ten. Und auch das ist Au­to­sug­ge­s­ti­on. Die Land­schaft sprach
nicht. Sie sprach we­der vom ewi­gen noch vom zeit­li­chen Le­ben, sie war schön,
ru­hig in sich und hat­te ge­ra­de jetzt, wo ich in ihr das Le­ben such­te, um dem
Ge­dan­ken an den Tod zu ent­ge­hen, mit ih­rem geis­ter­haf­ten Licht et­was
Ske­let­ti­ges, als lä­ge sie jen­seits des Ache­ron. Da­für aber leuch­te­te das
rie­si­ge Bild des Großin­qui­si­tors wie nie zu­vor, in sei­nen küh­len Rots und mit
den Au­gen, die ei­nem folg­ten, wo­hin man auch ging, als wä­re es plötz­lich, nach
Jahr­hun­der­ten, wie­der zum Le­ben er­wacht. Es war mäch­tig und be­herrsch­te den
Raum. Es war nicht tot. Es wür­de nie ster­ben. Die Fol­ter war ewig. Die Angst
blieb. Nie­mand war ge­ret­tet. Ich wuß­te plötz­lich, wer Mol­ler ge­tö­tet hat­te. Ich
ver­zwei­fel­te nicht an mei­nem ers­ten Er­leb­nis hier. Es blieb. Doch das an­de­re
blieb auch, und es war am mäch­tigs­ten, wenn man glaub­te, ge­ret­tet zu sein.
    Ich ging wei­ter, bis ich zu den Räu­men mit
den chi­ne­si­schen Bron­zen kam. Ich lieb­te ei­ne blaue Bron­ze, ei­ne ei­er­far­be­ne
Scha­le, die in ei­nem Glas­schrank stand, und ich such­te sie zu­erst auf. Sie war
nicht po­liert wie die grü­nen, za­cki­gen Chou-Stücke, die zu dem herr­li­chen Al­tar
ge­hör­ten, der in der Mit­te des Raum­es stand und des­sen Bron­zen glänz­ten wie
Ja­de, mit dem Sei­den­schim­mer des Al­ters dar­auf. Ich hät­te sie gern ein paar
Mi­nu­ten in den Hän­den ge­hal­ten, aber al­les war in Glas­käs­ten, und dies aus
gu­tem Grund, denn schon der un­sicht­ba­re Schweiß der Hän­de konn­te die­se
kost­ba­ren Stücke leicht be­schä­di­gen. Ich blieb ei­ne Wei­le ste­hen und stell­te
mir vor, daß ich sie spür­te. Es war merk­wür­dig, wie mich das be­ru­hig­te. Der
ho­he hel­le Raum mit dem schwe­ben­den Licht hat­te das, was mich auch in der
ma­gi­schen Stun­de der An­ti­qui­tä­ten­lä­den der Zwei­ten und Drit­ten Ave­nue so an­zog:
die Zeit stand still, von der ich so­viel hat­te ver­geu­den müs­sen, um nur am
Le­ben zu blei­ben.
    ***
    Das
Be­er­di­gungs­in­sti­tut war zwar bil­lig, aber da­für mit dem gan­zen falschen Pa­thos
ein­ge­rich­tet, das be­wirkt, daß ei­nem ein paar Bret­ter oder ein Lei­chen­wa­gen
wür­di­ger er­schei­nen. Das Schlimms­te war für mich die Dis­kre­ti­on – die­se
Dis­kre­ti­on in Schwarz, die fei­er­li­chen Mie­nen, die Bei­leids­ge­sich­ter, die
Buchs­baum­töp­fe am Ein­gang, die Or­gel, von der man wuß­te, daß sie ein Gram­mo­phon
war. Es war fast ei­ne Er­lö­sung, als Bet­ty plötz­lich wild und laut
los­schluchz­te, mit ih­rem ro­ten, schwit­zen­den Ge­sicht und den vie­len schwar­zen
Rü­schen.
    Ich wuß­te, daß ich un­ge­recht war. Aber es
ist schwer, im To­de das Pa­thos zu ver­mei­den, und das ge­hei­me Ge­fühl
un­ter­drück­ter Be­frie­di­gung, nicht selbst dort in der scheuß­li­chen, po­lier­ten
Kis­te zu lie­gen. Die­ses Ge­fühl, das man haßt und dem man den­noch nicht

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