E.M. Remarque
im
Internierungslager durch die schlampige französische Bürokratie hilflos und
sinnlos festgehalten wurde, hatte, als die Deutschen nur noch Stunden entfernt
waren, lieber den Tod gewählt, statt in ihre blutigen Hände zu fallen –
aber das ist begreifliche Panik in höchster Gefahr. Dieses war anders. Hier
hatte einer, der gerettet war, nicht mehr weiterleben wollen, und er war nicht
nur irgendeiner, er ging uns alle an. Ich hatte es abschütteln wollen als einen
Zufall, aber es war mir nachgeschlichen und hatte mich nicht in Ruhe gelassen.
Es war der Grund, daß ich jetzt hier war und von Bild zu Bild ging, bis ich zu
dem Saal mit den Grecos kam.
Die Landschaft von Toledo wirkte heute
trübe und stumpf. Es konnte vielleicht am Einfall des Lichtes liegen, aber
ebenso an meiner eigenen Trübe. Ich hatte damals nichts gesucht, heute war ich
gekommen, um mich von der Landschaft trösten zu lassen – und das war eigentlich
schon ein kleiner Betrug. Kunstwerke sind keine Krankenschwestern. Wer Trost
sucht, soll beten. Und auch das ist Autosuggestion. Die Landschaft sprach
nicht. Sie sprach weder vom ewigen noch vom zeitlichen Leben, sie war schön,
ruhig in sich und hatte gerade jetzt, wo ich in ihr das Leben suchte, um dem
Gedanken an den Tod zu entgehen, mit ihrem geisterhaften Licht etwas
Skelettiges, als läge sie jenseits des Acheron. Dafür aber leuchtete das
riesige Bild des Großinquisitors wie nie zuvor, in seinen kühlen Rots und mit
den Augen, die einem folgten, wohin man auch ging, als wäre es plötzlich, nach
Jahrhunderten, wieder zum Leben erwacht. Es war mächtig und beherrschte den
Raum. Es war nicht tot. Es würde nie sterben. Die Folter war ewig. Die Angst
blieb. Niemand war gerettet. Ich wußte plötzlich, wer Moller getötet hatte. Ich
verzweifelte nicht an meinem ersten Erlebnis hier. Es blieb. Doch das andere
blieb auch, und es war am mächtigsten, wenn man glaubte, gerettet zu sein.
Ich ging weiter, bis ich zu den Räumen mit
den chinesischen Bronzen kam. Ich liebte eine blaue Bronze, eine eierfarbene
Schale, die in einem Glasschrank stand, und ich suchte sie zuerst auf. Sie war
nicht poliert wie die grünen, zackigen Chou-Stücke, die zu dem herrlichen Altar
gehörten, der in der Mitte des Raumes stand und dessen Bronzen glänzten wie
Jade, mit dem Seidenschimmer des Alters darauf. Ich hätte sie gern ein paar
Minuten in den Händen gehalten, aber alles war in Glaskästen, und dies aus
gutem Grund, denn schon der unsichtbare Schweiß der Hände konnte diese
kostbaren Stücke leicht beschädigen. Ich blieb eine Weile stehen und stellte
mir vor, daß ich sie spürte. Es war merkwürdig, wie mich das beruhigte. Der
hohe helle Raum mit dem schwebenden Licht hatte das, was mich auch in der
magischen Stunde der Antiquitätenläden der Zweiten und Dritten Avenue so anzog:
die Zeit stand still, von der ich soviel hatte vergeuden müssen, um nur am
Leben zu bleiben.
***
Das
Beerdigungsinstitut war zwar billig, aber dafür mit dem ganzen falschen Pathos
eingerichtet, das bewirkt, daß einem ein paar Bretter oder ein Leichenwagen
würdiger erscheinen. Das Schlimmste war für mich die Diskretion – diese
Diskretion in Schwarz, die feierlichen Mienen, die Beileidsgesichter, die
Buchsbaumtöpfe am Eingang, die Orgel, von der man wußte, daß sie ein Grammophon
war. Es war fast eine Erlösung, als Betty plötzlich wild und laut
losschluchzte, mit ihrem roten, schwitzenden Gesicht und den vielen schwarzen
Rüschen.
Ich wußte, daß ich ungerecht war. Aber es
ist schwer, im Tode das Pathos zu vermeiden, und das geheime Gefühl
unterdrückter Befriedigung, nicht selbst dort in der scheußlichen, polierten
Kiste zu liegen. Dieses Gefühl, das man haßt und dem man dennoch nicht
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