E.M. Remarque
vielleicht kürzer.
Willst du mit mir essen kommen?«
»Wo?«
»Ich will dich einladen«, sagte sie
lachend.
»Das geht nicht. Zum Gigolo bin ich schon
zu alt. Ich habe auch zu wenig Charme.«
»Du hast gar keinen, aber das ist einerlei.
Komm mit und laß deine moralischen Bedenken fahren. Wir essen alle immer hier
im Abonnement. Keiner zahlt vor Monatsende. Für deine Würde ist also gesorgt.
Außerdem möchte ich, daß du jemand triffst. Eine alte Dame. Sehr reich. Sie
will Bilder kaufen. Ich habe von dir erzählt.«
»Aber Natascha! Ich verkaufe doch keine
Bilder!«
»Du nicht, aber Silvers. Und wenn du ihm
Kunden zuführst, wird er dir eine Provision geben.«
»Was?«
»Eine Provision. Das ist üblich. Weißt du nicht,
daß die Hälfte aller Menschen von gegenseitigen Provisionen lebt?«
»Nein.«
»Dann mußt du es lernen. Und nun komm. Ich
habe Hunger. Oder hast du Angst?«
Sie sah mich herausfordernd an. »Du bist
sehr schön«, sagte ich.
»Bravo.«
»Sollte etwas aus der Provision werden,
mußt du mit mir essen gehen, Kaviar und Champagner.«
»Bravo. D'accord. Ist dann endlich genug
getan für deine Ethik?«
»Genug. Jetzt habe ich nur noch
Platzangst.«
»So verschieden von den andern bist du gar
nicht«, sagte Natascha.
Das Restaurant war ziemlich voll. Ich hatte
das Gefühl, in einen eleganten Käfig mit Schmetterlingen, Dohlen und Papageien
zu kommen. Kellner jagten umher. Natascha kannte, wie immer, viele Leute.
»Ich glaube, du kennst halb New York«,
sagte ich.
»Unsinn. Ich kenne nur Nichtstuer und
Leute, die mit Mode zu tun haben. So wie ich. Damit du nicht neue Platzangst
bekommst, essen wir das Sommer-Menü.«
»Sommer-Menü ist ein hübscher Name.«
Sie lachte. »Es ist ein anderer Name für
Diät. Ganz Amerika ißt nach irgendeiner Diät.«
»Warum? Alle sehen hier ziemlich gesund
aus.«
»Um nicht dick zu werden. Amerika hat den
Jugendfimmel und den Schlankheitsfimmel. Jeder will jung und schlank bleiben.
Alter ist hier nicht gefragt. Der ehrwürdige Rat, der im alten Griechenland
hoch geehrt war, würde in Amerika in ein Altersheim gesteckt.« Natascha zündete
sich eine Zigarette an und blinzelte mir zu. »Wir wollen jetzt nicht darüber
reden, daß der größte Teil der Welt hungert. Das wolltest du doch, oder nicht?«
»Ich bin nicht ganz so schlimm, wie du
denkst. Ich habe nicht daran gedacht.«
»Na, na!«
»Ich habe an Europa gedacht. Dort hungert
man noch nicht zu sehr, aber man hat viel weniger zu essen.«
Sie sah mich mit halb geschlossenen Augen
an. »Glaubst du nicht, daß es für dich ganz gut wäre, etwas weniger an Europa
zu denken?« fragte sie.
Ich war überrascht, daß sie das bemerkt
hatte. »Ich versuche, nicht daran zu denken.«
Sie lachte. »Da kommt die reiche alte
Dame.«
Ich hatte eine korpulente Puffotter
erwartet, ein Gegenstück zu Cooper. Statt dessen kam eine zierliche Person mit
silbernen Löckchen und roten Bäckchen, von der man annehmen konnte, daß sie
stets gehegt und gepflegt worden sei und nie aus ihrem Puppendasein
herausgekommen war. Sie war etwa siebzig Jahre alt und sah ohne Mühe wie
fünfzig aus. Selbst das Alter wirkte bei ihr wie ein leicht zerknittertes
Seidenpapier, in das sie eingewickelt war. Man sah es nur am Hals und auf den
Händen. Um den Hals trug sie deshalb auch eine Art Collier aus vier
übereinander liegenden Perlenreihen, die viel verdeckten und die Frau noch
zierlicher und empirehafter machten.
Sie interessierte sich für Paris und fragte
mich danach. Ich hütete mich, ihr etwas von meinem Leben dort zu erzählen, ich
tat so, als wäre dort Krieg. Ich sah Natascha an und redete von der Seine, von
der Insel St. Louis, dem Quai des Grands Augustins, von den Sommernachmittagen
im Luxembourg und den Abenden auf den Champs
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