E.M. Remarque
wie
weit das Licht draußen war? Saufen im Unterseeboot war das gewesen. Es war
einfach, den Kopf zu schütteln und zu finden, man solle vernünftiger sein. Aber
verdammt, es war nicht einfach! Ein Leben war ein Leben; es war nichts wert und
alles; man konnte es wegwerfen, das war auch einfach. Aber warf man damit nicht
auch die Rache weg, und warf man damit nicht auch das weg, was verhöhnt,
bespuckt und lächerlich gemacht, täglich und stündlich, ungefähr so hieß wie
Glaube an Menschlichkeit und Menschheit, trotz allem? Ein leeres Leben – das
warf man nicht weg wie eine leere Patrone! Es war immer noch gut genug, um zu
kämpfen, wenn die Zeit dafür kam und wenn es gebraucht werden konnte. Nicht aus
persönlichen Gründen, nicht einmal aus Rache, so bluttief Rache auch war, noch
aus Egoismus und auch nicht aus altruistischen Gründen, so wichtig es auch sein
würde, diese Welt um eine Raddrehung aus Blut und Schutt vorwärts schieben zu
helfen – aus nichts anderm zum Schluß, als daß man kämpfte, einfach kämpfte und
wartete auf seine Chance zum Kämpfen, solange man noch atmete. Aber das Warten
fraß, und vielleicht war es hoffnungslos, und dazu kam noch die geheime Furcht,
daß man, wenn es endlich soweit war, schon zu zermürbt sein konnte, zu
zerfressen, zu faul vom Warten, zu müde in den Zellen, um noch mitmarschieren
zu können! Zerstampfte man darum nicht alles in Vergessenheit, was an den
Nerven fressen konnte, löschte man es nicht aus, wirksam und hart, mit
Sarkasmus und Ironie, sogar mit Gegensentimentalität, mit der Flucht in einen
andern Menschen, in ein fremdes Ich? Bis dann doch wieder einmal die brutale
Ohnmacht kam, wenn man dem Schlaf ausgeliefert war und den Gespenstern. –
Der Mond kroch feist unter das Fensterkreuz. Es war kein
angenagelter Heiligenschein mehr – er war ein fetter, obszöner Voyeur, der in
Kammern und Betten stierte. Ravic war jetzt ganz wach. Es war noch ein ziemlich
harmloser Traum gewesen. Er kannte andre. Aber es war lange her, daß er
überhaupt geträumt hatte. Er dachte nach – es war fast die ganze Zeit her, seit
er nicht mehr allein schlief.
Er fühlte neben das Bett. Die Flasche stand nicht da. Sie
stand seit einiger Zeit nicht mehr da. Sie stand auf dem Tisch in der Ecke des
Zimmers. Er zögerte einen Moment. Es war nicht nötig zu trinken. Er stand auf
und ging auf nackten Füßen zum Tisch. Er fand ein Glas, entkorkte die Flasche
und trank. Es war der Rest des alten Calvados. Er hielt das Glas gegen das
Fenster. Der Mond machte es zu einem Opal. Schnaps sollte nicht im Licht
stehen, dachte er. Weder in der Sonne noch im Mond. Verwundete Soldaten, die
eine Nacht im Vollmond draußen gelegen hatten, waren schwächer als nach anderen
Nächten. Er schüttelte den Kopf und trank das Glas aus. Dann goß er sich ein
neues ein. Als er aufblickte, bemerkte er, daß Joan die Augen geöffnet hatte
und ihn ansah. Er hielt inne. Er wußte nicht, ob sie wach war und ihn wirklich
sah.
»Ravic«, sagte sie.
»Ja ...«
Sie zuckte, als erwache sie jetzt erst. »Ravic«, sagte
sie mit einer anderen Stimme. »Ravic – was machst du da?«
»Ich trinke etwas.«
»Aber warum …« Sie richtete sich auf. »Was ist los?«
fragte sie verwirrt.
»Was ist passiert?«
»Nichts.«
Sie strich sich die Haare zurück. »Mein Gott«, sagte sie,
»habe ich mich erschrocken!«
»Das wollte ich nicht. Ich dachte, du würdest
weiterschlafen.«
»Du standest plötzlich so da – in der Ecke – ganz
anders.«
»Das tut mir leid, Joan. Ich glaubte nicht, daß du
aufwachen würdest.«
»Ich spürte, daß du nicht mehr da warst. Es war kalt. Wie
ein Wind. Ein kaltes Erschrecken. Und dann standest du plötzlich da. Ist etwas
passiert?«
»Nein, nichts. Gar nichts, Joan. Ich bin aufgewacht und
wollte etwas trinken.«
»Gib mir auch einen Schluck.«
Ravic füllte das Glas und ging zum Bett hinüber.
Weitere Kostenlose Bücher