E.M. Remarque
es auf unsere Gedanken, in unser
Blut, es tropfte und tropfte aus dem Unbewußten Blindheit in uns hinein – und
dann plötzlich war jeder von uns allein, wir trieben einsam irgendwo herum auf
dunklen Kanälen, ausgeliefert an unbekannte Mächte und jede gestaltlose
Drohung. Als ich aufwachte, sah ich dich. Du schliefst. Du warst immer noch
weit fort. Du warst mir gänzlich entglitten. Du wußtest nichts mehr von mir. Du
warst irgendwo, wohin ich dir nicht folgen kann.« Er küßte ihre Hand.
»Wie kann Liebe vollkommen sein, wenn ich dich jede Nacht
schon an den Schlaf verliere?«
»Ich lag dicht bei dir. Neben dir. In deinem Arm.«
»Du warst in einem unbekannten Land. Du warst neben mir,
aber du warst weiter fort, als wenn du auf dem Sirius gewesen wärest. Wenn du
am Tage fort bist, so ist das nichts – ich weiß alles über den Tag. Aber wer
weiß etwas über die Nacht?«
»Ich war bei dir.«
»Du warst nicht bei mir. Du lagst nur neben mir. Wer weiß
je, wie er zurückkommt aus dem Land ohne Kontrolle? Verwandelt, ohne es zu
wissen.«
»Du auch.«
»Ja, ich auch«, sagte Ravic. »Und nun gib mir das Glas
wieder. Während ich Unsinn rede, trinkst du.«
Sie reichte ihm das Glas hinüber. »Gut, daß du aufgewacht
bist, Ravic. Gesegnet sei der Mond. Ohne ihn hätten wir geschlafen und nichts
voneinander gewußt. Oder in einen von uns wäre der Keim des Abschieds geworfen
worden, während wir wehrlos waren. Und er wäre langsam und unsichtbar gewachsen
und gewachsen, bis er eines Tages durchgebrochen wäre.«
Sie lachte leise. Ravic sah sie an. »Du nimmst das nicht
besonders ernst, wie?«
»Nein. Du?«
»Nein. Aber es ist etwas daran. Deshalb nehmen wir es
nicht ernst. Darin ist der Mensch groß.«
Sie lachte wieder. »Ich habe keine Angst davor. Ich
vertraue auf unsere Körper. Die wissen besser, was sie wollen, als das, was in
unserem Kopf nachts herumspukt.«
Ravic trank sein Glas aus. »Gut«, sagte er. »Auch
richtig.«
»Wie wäre es, wenn wir diese Nacht nicht mehr schliefen?«
Ravic hob die Flasche gegen den Silberschacht des
Mondlichts. Sie war noch ein Drittel voll. »Nicht mehr viel«, sagte er. »Aber
wir können es versuchen.«
Er stellte sie auf den Tisch neben dem Bett. Dann drehte
er sich um und sah Joan an. »Du siehst aus, wie alle Wünsche eines Mannes und
noch einer mehr, den er nicht gewußt hat.«
»Gut«, sagte sie. »Wir wollen jede Nacht aufwachen,
Ravic. Nachts bist du anders als am Tage.«
»Besser?«
»Anders. Nachts bist du überraschend. Du kommst immer
irgendwo her, von wo man nichts weiß.«
»Tagsüber nicht?«
»Nicht immer. Manchmal.«
»Schönes Bekenntnis«, sagte Ravic. »Vor ein paar Wochen
hättest du mir das nicht gesagt.«
»Nein. Damals kannte ich dich auch noch weniger.«
Er blickte auf. Es war nicht der Schatten von Doppeldeutigkeit
in ihrem Gesicht. Sie meinte es einfach so und fand es ganz natürlich. Sie
wollte ihn weder verletzen noch etwas Besonderes sagen. »Das kann gut werden«,
sagte er.
»Warum?«
»In ein paar weiteren
Wochen wirst du mich noch besser kennen, und ich werde noch weniger
überraschend sein.«
»Genau wie ich«, sagte Joan und lachte.
»Du nicht.« – »Warum nicht?«
»Das hat seinen Grund in fünfzigtausend Jahren Biologie.
Die Liebe macht die Frau scharfsinnig und den Mann konfus.«
»Liebst du mich?«
»Ja.«
»Du sagst das viel zuwenig.« Sie dehnte sich. Wie eine
satte Katze, dachte Ravic. Wie eine satte Katze, die ihres Opfers sicher ist.
»Manchmal könnte ich dich aus dem Fenster werfen«, sagte
er.
»Warum tust du es nicht?«
Er sah sie an.
»Könntest du es?« fragte sie.
Er antwortete nicht. Sie legte sich in die Kissen zurück.
»Jemand zerstören, weil man ihn liebt? Ihn töten, weil man ihn zu sehr liebt?«
Ravic griff nach der Flasche. »Mein Gott«, sagte er.
»Womit habe ich das verdient? Nachts aufzuwachen, um so
Weitere Kostenlose Bücher