E.M. Remarque
auch?«
»Natürlich.«
Dieses Blau, dachte Ravic. Dieses fast farblose Blau am
Horizont, wo der Himmel in die See taucht, und dann dieser Sturm, tiefer und
tiefer das Meer und den Zenit hinauf, bis in diese Augen, die hier blauer sind
als je in Paris.
»Ich wollte, wir könnten es«, sagte Joan.
»Wir tun es ja – im Augenblick.«
»Ja, im Augenblick; für ein paar Tage; aber dann gehen
wir wieder nach Paris zurück; in diesen Nachtklub, in dem sich nichts ändert;
in dieses Leben in diesem schmutzigen Hotel ...«
»Du übertreibst. Dein Hotel ist nicht schmutzig. Meines
ist ziemlich schmutzig, bis auf mein Zimmer.«
Sie stützte die Arme auf. Der Wind flog durch ihr Haar.
»Morosow sagt, du wärest ein wunderbarer Arzt. Schade, daß das mit dir so ist.
Du könntest sonst viel Geld verdienen. Gerade als Chirurg. Professor Durant ...«
»Wie kommst du denn zu dem?«
»Er kommt manchmal in die Scheherazade. Rene, der
Oberkellner, sagt, unter zehntausend Frank rührt er keinen Finger.«
»René ist gut informiert.«
»Und er macht manchmal zwei, drei Operationen an einem
Tag. Er hat ein herrliches Haus, einen Packard ...«
Sonderbar, dachte Ravic. Das Gesicht verändert sich
nicht. Es ist eher noch hinreißender als vorher, während sie diesen
jahrtausendealten Weiberunsinn daherredet. Sie sieht aus wie eine seeäugige
Amazone, während sie mit dem Brutinstinkt Bankiersideale predigt. Aber hat sie
nicht recht? Hat so viel Schönheit nicht immer recht? Und alle Entschuldigungen
der Welt?
Er sah das Motorboot in einer Welle Gischt herankommen;
er rührte sich nicht; er wußte, weshalb es kam. »Da kommen deine Freunde«,
sagte er.
»Wozu?« Joan hatte das Boot längst gesehen. – »Wieso
meine Freunde?« fragte sie. »Es sind doch viel eher deine Freunde. Sie haben
dich früher gekannt als mich.«
»Zehn Minuten früher.«
»Jedenfalls früher.«
Ravic lachte. »Gut, Joan.«
»Ich brauche nicht zu gehen. Das ist ganz einfach. Ich
werde nicht gehen.«
»Natürlich nicht.«
Ravic streckte sich auf dem Felsen aus und schloß die
Augen. Die Sonne wurde sofort eine warme, goldene Decke. Er wußte, was kommen
würde.
»Wir sind nicht besonders höflich«, sagte Joan nach einer
Weile. – »Das sind Verliebte nie.«
»Die beiden sind unseretwegen gekommen. Sie wollen uns
abholen. Wenn wir nicht fahren wollen, könntest du wenigstens hinuntergehen und
es ihnen sagen.«
»Gut.« Ravic öffnete halb die Augen. »Machen wir es
kürzer. Geh du hinunter und sage, ich muß arbeiten, und fahre mit. Genau wie
gestern.«
»Arbeiten – das klingt doch merkwürdig. Wer arbeitet
hier? Warum fährst du nicht einfach mit? Die beiden mögen dich sehr gern. Sie
waren gestern schon enttäuscht, daß du nicht kamst.«
»O Gott.« Ravic öffnete die Augen ganz. »Wozu lieben alle
Frauen diese idiotischen Konversationen? Du möchtest fahren, ich habe kein
Boot, das Leben ist kurz, wir sind nur ein paar Tage hier, wozu soll ich mit
dir Generosität spielen und dich zwingen zu tun, was du ohnehin tun wirst, nur
damit du dich besser fühlst?«
»Du brauchst mich nicht zu zwingen. Ich kann es selbst
tun.«
Sie sah ihn an. Ihre Augen waren von derselben
strahlenden Intensität; nur ihr Mund war eine Sekunde verzogen – es war ein
Ausdruck, der so rasch das Gesicht überflog, daß Ravic glauben konnte, sich
geirrt zu haben. Aber er wußte, er hatte sich nicht geirrt.
Das Meer schlug klatschend gegen die Felsen am
Landungssteg. Es spritzte hoch, und der Wind trug einen Schwall glitzernden
Wassers herüber. Ravic spürte ihn auf der Haut wie ein kurzes Frösteln. »Das
war deine Welle«, sagte Joan. »Wie in der Geschichte, die du mir in Paris
erzählt hast.«
»Hast du dir das gemerkt?«
»Ja. Aber du bist kein Felsen. Du bist ein Betonblock.«
Sie ging zum Bootshafen
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