E.M. Remarque
setzte sich auf den Rand der Wanne und zog die Schuhe
aus. Das blieb immer dasselbe. Die Dinge und ihr stummer Zwang. Die Trivialität,
die schmale Gewohnheit in all dem irrlichternden Vergleiten. Das blühende Ufer
des Herzens an den Wassern der Liebe – aber wer man auch war, Poet, Halbgott
oder Idiot – alle paar Stunden wurde man aus seinen Himmeln geholt, um zu
urinieren. Dem war nicht zu entgehen! Die Ironie der Natur. Der romantische
Regenbogen über Drüsenreflexen und Verdauungsgequirl. Die Organe der Verzückung
diabolisch gleichzeitig zur Ausscheidung organisiert. Ravic warf die Schuhe in
eine Ecke. Verhaßte Gewohnheit des Ausziehens! Sogar dem war nicht zu
entkommen. Nur wer allein lebte, begriff das. Irgendeine verdammte Ergebenheit,
ein Aufgehen war darin. Er hatte oft schon in seinen Kleidern geschlafen, um
ihr zu entgehen; aber es war nur ein Verschieben. Es war ihr nicht zu entkommen.
Er drehte die Dusche an. Das kühle Wasser strömte über
seine
Haut. Er atmete tief und trocknete sich ab. Der Trost der
kleinen Dinge. Wasser, Atem, abendlicher Regen. Nur wer allein war, kannte auch
sie. Dankbare Haut. Leichtes, in den dunklen Kanälen hinschießendes Blut. Auf
einer Wiese zu liegen. Birken. Weiße Sommerwolken. Der Himmel der Jugend. Wo
waren die Abenteuer des Herzens geblieben? Erschlagen von den finsteren
Abenteuern des Daseins.
Er ging in das Zimmer zurück. Die Frau hockte in der Ecke
des Sofas, die Decke hoch um sich gezogen.
»Kalt?« fragte er.
Sie schüttelte den Kopf.
»Angst?«
Sie nickte.
»Vor mir?«
»Nein.«
»Vor draußen?«
»Ja.«
Ravic schloß das Fenster. – »Danke«, sagte sie.
Er sah auf den Nacken vor sich. Schultern. Etwas, das
atmete. Ein bißchen fremdes Leben – aber Leben. Wärme. Kein erstarrender
Körper. Was konnte man sich schon anderes geben als etwas Wärme? Und was war
mehr?
Die Frau bewegte sich. Sie zitterte. Sie sah Ravic an. Er
spürte, wie die Welle zurückebbte. Die tiefe Kühle ohne Schwere kam. Die
Spannung war vorüber. Die Weite kam. Es war, als würde er von einer Nacht auf
einem fremden Planeten zurückgenommen. Alles wurde plötzlich einfach, der
Morgen, die Frau – es war nichts mehr zu denken.
»Komm«, sagte er.
Sie starrte ihn an.
»Komm«, sagte er ungeduldig.
3
3 Er
wachte auf. Er hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Die Frau war
angezogen und saß auf dem Sofa. Aber sie sah ihn nicht an; sie blickte aus dem
Fenster. Er hatte erwartet, sie würde längst fort sein. Es war ihm unbequem,
daß sie noch da war. Er konnte morgens keine Menschen um sich leiden.
Er überlegte, ob er versuchen sollte, weiterzuschlafen;
aber es störte ihn, daß sie ihn beobachten konnte. Er beschloß, sie rasch
loszuwerden. Wenn sie auf Geld wartete, war es sehr einfach. Es würde auch
sonst einfach sein. Er richtete sich auf.
»Sind Sie schon lange auf?«
Die Frau erschrak und drehte sich um. »Ich konnte nicht mehr
schlafen. Es tut mir leid, wenn ich Sie geweckt habe.«
»Sie haben mich nicht geweckt.«
Sie stand auf. »Ich wollte fortgehen. Ich weiß nicht,
weshalb ich hier noch gesessen habe.«
»Warten Sie. Ich bin gleich fertig. Sie bekommen noch Ihr
Frühstück. Den berühmten Kaffee des Hotels. So lange werden wir beide noch Zeit
haben.«
Er stand auf und klingelte. Dann ging er ins Badezimmer.
Er sah, daß die Frau es benutzt hatte; aber alles war wieder ordentlich
gerichtet worden, sogar die gebrauchten Frotteetücher. Während er sich die
Zähne putzte, hörte er das Mädchen mit dem Frühstück kommen.
Er beeilte sich.
»War es unangenehm?« fragte er, als er herauskam.
»Was?«
»Daß das Zimmermädchen Sie sah. Ich habe nicht daran
gedacht.«
»Nein. Es war auch nicht überrascht.« Die Frau blickte
auf das Tablett. Es war für zwei
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