E.M. Remarque
Personen, ohne daß Ravic etwas gesagt hätte.
»Sicher nicht. Dafür sind wir in Paris. Hier ist Ihr
Kaffee. Haben Sie Kopfschmerzen?«
»Nein.«
»Gut. Ich habe welche. Aber das ist in einer Stunde
vorbei. Hier sind Brioches.«
»Ich kann nichts essen.«
»Doch, Sie können. Sie glauben bloß, Sie könnten nicht.
Versuchen Sie es nur.«
Sie nahm ein Brioche. Dann legte sie es wieder hin. »Ich
kann wirklich nicht.«
»Dann trinken Sie den Kaffee und rauchen eine Zigarette.
Das ist das Frühstück der Soldaten.«
»Ja.«
Ravic aß. »Sind Sie immer noch nicht hungrig?« fragte er
nach einer Weile.
»Nein.«
Die Frau drückte ihre Zigarette aus. »Ich glaube …«,
sagte sie und verstummte.
»Was glauben Sie?« fragte Ravic ohne Neugier.
»Ich sollte jetzt gehen.«
»Wissen Sie den Weg? Sie sind hier nahe der Avenue
Wagram.«
»Nein.«
»Wo wohnen Sie?«
»Im Hotel Verdun.«
»Das ist wenige Minuten von hier. Ich kann es Ihnen
zeigen, draußen. Ich werde Sie ohnehin am Portier vorbeibringen.«
»Ja … aber das ist es nicht ...«
Sie schwieg wieder. Geld, dachte Ravic. Geld, wie immer.
»Ich kann Ihnen leicht aushelfen, wenn Sie in Verlegenheit sind.« Er zog seine
Brieftasche hervor.
»Lassen Sie das! Was soll das?« sagte die Frau schroff.
»Nichts.« Ravic steckte die Brieftasche wieder ein.
»Entschuldigen Sie …« Sie stand auf. »Sie waren … ich muß
Ihnen danken … es wäre … die Nacht … ich hätte allein nicht gewußt...«
Ravic fiel ein, was geschehen war. Er hätte es lächerlich
gefunden, wenn sie eine Angelegenheit daraus gemacht hätte – aber daß sie ihm
dankte, hatte er nicht erwartet, und es war ihm viel unangenehmer.
»Ich hätte wirklich nicht gewußt«, sagte die Frau. Sie
stand noch immer unschlüssig vor ihm. Weshalb geht sie nicht? dachte er.
»Aber jetzt wissen Sie …«, sagte er, um etwas zu sagen.
»Nein.« Sie sah ihn offen an. »Ich weiß es noch immer
nicht. Ich weiß nur, daß ich etwas tun muß. Ich weiß, daß ich nicht weglaufen
kann.«
»Das ist schon viel.« Ravic nahm seinen Mantel. »Ich
werde Sie jetzt herunterbringen.«
»Das ist nicht nötig. Sagen Sie mir nur …« Sie zögerte
und suchte nach Worten. »Vielleicht wissen Sie … was man tun muß … wenn ...«
»Wenn?« fragte Ravic nach einer Weile.
»Wenn jemand gestorben ist«, stieß die Frau hervor und
brach plötzlich zusammen. Sie weinte. Sie schluchzte nicht, sie weinte nur,
fast ohne Laut.
Ravic wartete, bis sie ruhiger wurde. »Ist jemand
gestorben?«
Sie nickte.
»Gestern abend?«
Sie nickte wieder.
»Haben Sie ihn getötet?«
Die Frau starrte ihn an. »Was? Was sagen Sie da?«
»Haben Sie es getan? Wenn Sie mich fragen, was Sie tun
sollen, müssen Sie es mir sagen.«
»Er ist gestorben!« schrie die Frau. »Plötzlich ...«
Sie verbarg ihr Gesicht.
»War er krank?« fragte Ravic.
»Ja.«
»Hatten Sie einen Arzt?«
»Ja … aber er wollte nicht ins Krankenhaus ...«
»War der Arzt gestern da?«
»Nein. Vor drei Tagen. Er hat ihn … er schimpfte auf den
Arzt und wollte ihn nicht mehr haben.«
»Hatten Sie keinen anderen danach?«
»Wir wußten keinen. Wir sind erst drei Wochen hier.
Diesen hatte der Kellner uns besorgt … und er wollte ihn nicht mehr … er sagte
… er glaubte, er könne es allein besser ...«
»Was hat er gehabt?«
»Ich weiß es nicht. Der Arzt sagte Lungenentzündung …
aber er glaubte es nicht … er sagte, alle Ärzte seien Betrüger … und es war
auch besser gestern. Dann plötzlich ...«
»Warum haben Sie ihn nicht in ein Hospital gebracht?«
»Er wollte nicht … er sagte … er … ich würde ihn
betrügen, wenn er fort wäre … er … Sie kennen ihn nicht … es war nichts zu
machen.«
»Liegt er noch im Hotel?«
»Ja.«
»Haben Sie dem Hotelbesitzer gemeldet, was geschehen
ist?«
»Nein. Als er plötzlich still war … und alles so still …
und seine
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