E.M. Remarque
der Vergangenheit herumsuchen wollen? Wofür hältst du mich,
Joan?«
Ihre Tränen hatten aufgehört. »Ich habe das lange nicht
mehr gehört«, sagte sie.
»Dann warst du unter Holzköpfen. Frauen soll man anbeten
oder verlassen. Nichts dazwischen.«
Sie schlief, dicht an ihn geklammert, als wollte sie ihn
nie mehr loslassen. Sie schlief tief, und er fühlte ihren leichten,
regelmäßigen Atem auf seiner Brust. Er lag noch eine Zeitlang wach. Die
Geräusche des Morgens begannen im Hotel. Wasserleitungen rauschten, Türen
klappten, und unten hustete der Emigrant Wiesenhoff sein Erwachen aus dem
Fenster. Er fühlte Joans Schultern an seinem Arm, er fühlte ihre warme,
schlummernde Haut, und wenn er den Kopf wendete, konnte er ihr völlig gelöstes,
hingebendes Gesicht sehen, das rein war wie die Unschuld selbst. Anbeten oder
verlassen, dachte er. Große Worte. Wer das könnte! Aber wer wollte es auch
schon?
20
20 Er
erwachte. Joan lag nicht mehr neben ihm. Er hörte das Wasser im Badezimmer
rauschen und richtete sich auf. Er war sofort ganz wach. Die letzten Monate
hatten ihn das wieder gelehrt. Wer sofort wach war, konnte manchmal noch
entkommen. Er sah auf die Uhr. Es war zehn Uhr früh. Joans Abendkleid lag mit
ihrem Mantel auf dem Boden. Ihre Brokatschuhe standen vor dem Fenster. Einer
war umgefallen.
»Joan«, rief er. »Was machst du unter der Brause mitten
in der Nacht?«
Sie öffnete die Tür. »Ich wollte dich nicht wecken.«
»Das
ist gleichgültig. Ich kann immer schlafen. Aber wozu bist du schon auf?«
Sie hatte eine Badekappe übergezogen und tropfte vor
Wasser. Ihre Schultern schimmerten hellbraun. Sie sah aus wie eine Amazone mit
einem eng anliegenden Helm. »Ich bin keine Nachteule mehr. Ravic. Ich bin nicht
mehr in der Scheherazade.«
»Das weiß ich.«
»Von wem?«
»Von Morosow.«
Sie sah ihn eine Sekunde forschend an. »Morosow«, sagte
sie. »Der alte Schwätzer. Was hat er dir sonst erzählt?«
»Nichts. Gibt es sonst noch etwas zu erzählen?«
»Nichts, was ein Nachtportier erzählen könnte. Die sind
wie Garderobefrauen. Gewerbsmäßige Klatsch Vermittler.«
»Laß Morosow in Frieden. Nachtportiers und Ärzte sind
gewerbsmäßige Pessimisten. Sie leben von den Schattenseiten des Lebens. Aber
sie klatschen nicht. Sie sind verpflichtet zur Diskretion.«
»Schattenseite des Lebens«, sagte Joan. »Wer will das
schon?«
»Keiner. Aber die
meisten leben darin. Morosow hat dir übrigens damals die Stelle in der
Scheherazade besorgt.«
»Dafür kann ich ihm nicht ewig unter Tränen dankbar sein.
Ich war keine Enttäuschung. Ich war mein Geld wert, sonst hätten sie mich nicht
behalten. Er hat es außerdem für dich getan. Nicht für mich.«
Ravic griff nach einer Zigarette. »Was hast du eigentlich
gegen ihn?«
»Nichts. Ich mag ihn nicht. Er sieht einen immer so an.
Ich würde ihm nicht trauen, Du solltest es auch nicht.«
»Was?«
»Du solltest ihm nicht trauen. Du weißt, Portiers in
Frankreich sind alle Polizeispitzel.«
»Sonst noch was?« fragte Ravic ruhig.
»Du glaubst mir natürlich nicht. Jeder in der
Scheherazade wußte es. Wer weiß, ob ...«
»Joan!« Er warf die Decke zurück und stand auf. »Rede
keinen Unsinn. Was ist los mit dir?«
»Nichts. Was soll mit mir los sein? Ich kann ihn nicht
leiden, das ist alles. Er hat einen schlechten Einfluß. Und du steckst dauernd
mit ihm zusammen.«
»Ach so«, sagte Ravic. »Deshalb.«
Sie lächelte plötzlich. »Ja, deshalb.«
Ravic spürte, daß es nicht allein deshalb war. Da war
noch etwas anderes. »Was willst du zum Frühstück haben?« fragte er.
»Bist du ärgerlich?« fragte sie zurück.
»Nein.«
Sie kam aus dem Badezimmer und legte die Arme um seinen
Nacken. Er fühlte die Feuchtigkeit ihrer Haut durch den dünnen Stoff seines
Pyjamas. Er
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