E.M. Remarque
fühlte den Körper, und er fühlte sein Blut. »Bist du ärgerlich,
weil ich eifersüchtig auf deine Freunde bin?« fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. Ein Helm. Eine Amazone. Eine
Najade, dem Ozean entstiegen, den Geruch von Wasser und Jugend noch auf der
glatten Haut. »Laß mich los«, sagte er.
Sie antwortete nicht. Die Linie von den hohen
Wangenknochen zum Kinn. Der Mund. Die zu schweren Augenlider. Die Brüste, die
sich gegen seine nackte Haut unter der offenen Pyjamajacke drängten. »Laß mich
los, oder ...«
»Oder was?« fragte sie.
Eine Biene summte vor dem offenen Fenster. Ravic
folgte ihr mit den Augen. Wahrscheinlich war sie von den Nelken des Emigranten
Wiesenhoff angelockt worden und suchte nun nach andern Blumen. Sie flog herein
und ließ sich auf einem gebrauchten Calvadosglas nieder, das auf dem
Fensterbrett stand.
»Hast du mich vermißt?« fragte Joan.
»Ja.« – »Sehr?«
»Ja.«
Die Biene flog auf. Sie zirkelte einige Male um das Glas.
Dann summte sie durch das Fenster zurück in die Sonne und zu den Nelken des
Emigranten Wiesenhoff.
Ravic lag neben Joan. Sommer, dachte er. Sommer, Wiesen
am Morgen, das Haar mit dem Geruch nach Heu und die Haut wie Klee – das
dankbare Blut, das lautlos strömte wie ein Bach und sich hob und wunschlos die
sandigen Stellen überflutete, eine glatte Fläche, in der sich hoch ein Gesicht
spiegelte, in dem es lächelte. Nichts war mehr trocken und tot, einen hellen
Augenblick lang, Birken und Pappeln, Stille und das leise Murmeln, das wie ein
Echo aus fernen verlorenen Himmeln kam und in den Adern klopfte.
»Ich möchte hierbleiben«, sagte Joan an seiner Schulter.
»Bleib hier. Laß uns schlafen. Wir haben wenig
geschlafen.«
»Ich kann nicht. Ich muß fort.«
»Du kannst in deinem Abendkleid jetzt nirgendwo
hingehen.«
»Ich habe ein anderes Kleid mitgebracht.«
»Wo?«
»Ich hatte es unter
meinem Mantel. Schuhe auch. Es muß unter meinen Sachen liegen. Ich habe alles
bei mir.«
Sie sagte nicht, wohin sie gehen mußte. Auch nicht warum.
Und Ravic fragte nicht.
Die Biene erschien wieder. Sie summte nicht mehr ziellos
umher. Sie flog geradezu auf das Glas zu und setzte sich auf den Rand. Sie
schien etwas von Calvados zu verstehen. Oder von Obstzucker.
»Warst du so sicher, daß du hierbleiben würdest?«
»Ja«, sagte Joan, ohne sich zu rühren.
Rolande brachte ein Tablett mit Flaschen und Gläsern.
»Keinen Schnaps«, sagte Ravic.
»Du willst keinen Wodka? Es ist Subrowka.«
»Heute nicht. Du kannst mir Kaffee geben. Starken
Kaffee.«
»Gut.«
Er packte das Mikroskop beiseite. Dann zündete er sich
eine Zigarette an und trat ans Fenster. Die Platanen draußen hatten frisches,
volles Laub. Das letztemal, als er hier war, waren sie noch kahl gewesen.
Rolande brachte den Kaffee. »Ihr habt mehr Mädchen als
früher«, sagte Ravic.
»Zwanzig mehr.«
»Ist das Geschäft so gut? Jetzt, im Juni?«
Rolande setzte sich zu ihm. »Das Geschäft ist so gut, daß
wir es nicht verstehen. Die Leute scheinen verrückt geworden zu sein. Es geht
schon nachmittags los. Aber abends erst...«
»Vielleicht ist es das Wetter.«
»Es ist nicht das Wetter. Ich weiß, wie es sonst im Mai
und Juni ist. Dies hier ist eine Art von Verrücktheit. Du glaubst nicht, wie
die Bar geht. Kannst du dir vorstellen, daß Franzosen bei uns Champagner
bestellen?«
»Nein.«
»Ausländer, gut. Dafür haben wir sie ja. Aber Franzosen!
Sogar Pariser! Champagner! Und zahlen ihn! Statt Dubonnet oder Bier oder Fine.
Kannst du das glauben?«
»Nur wenn ich es sehe.«
Rolande schenkte ihm Kaffee ein. »Und der Betrieb«, sagte
sie. »Zum Taubwerden. Du wirst es ja sehen, wenn du herunter kommst. Um diese
Zeit schon! Nicht mehr die vorsichtigen Fachleute, die auf deine Visiten
warten. Eine ganze Bande hockt da schon! Was
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