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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
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Däm­me­rung.
    Ra­vic ging in sein
Zim­mer, um zu le­sen. Er hat­te ir­gend­wann ei­ni­ge Bän­de Welt­ge­schich­te ge­kauft
und such­te sie her­vor. Es war nicht be­son­ders er­hei­ternd, sie zu le­sen. Das
ein­zi­ge, was her­aus­kam, war ei­ne son­der­bar de­pri­mie­ren­de Ge­nug­tu­ung, daß nichts
neu war, was heu­te pas­sier­te. Al­les war dut­zen­de­mal da­ge­we­sen. Die Lü­gen, die
Treu­brü­che, die Mor­de, die Bar­tho­lo­mäus­näch­te, die Kor­rup­ti­on durch den Wil­len
zur Macht, die un­abläs­si­ge Ket­te der Krie­ge – die Ge­schich­te der Mensch­heit war
mit Blut und Trä­nen ge­schrie­ben, und un­ter tau­send blut­be­fleck­ten Sta­tu­en der
Ver­gan­gen­heit glänz­te nur sel­ten ei­ne, über der das Sil­ber der Gü­te lag. Die
Dem­ago­gen, die Be­trü­ger, die Va­ter- und Freun­des­mör­der, die nacht­trun­ke­nen
Egois­ten, die fa­na­ti­schen Pro­phe­ten, die die Lie­be mit dem Schwer­te pre­dig­ten;
es war im­mer das­sel­be, und im­mer wie­der wa­ren ge­dul­di­ge Völ­ker da,
ge­gen­ein­an­der ge­trie­ben in sinn­lo­sem Tö­ten für Kai­ser, Re­li­gio­nen und
Wahn­sin­ni­ge – es hat­te kein En­de.
    Er stell­te die Bü­cher bei­sei­te. Durch das of­fe­ne Fens­ter
un­ter ihm ka­men Stim­men. Er er­kann­te sie – es wa­ren Wie­sen­hoff und Frau
Gold­berg. »Jetzt nicht«, sag­te Ruth Gold­berg. »Er kommt bald zu­rück. In ei­ner
Stun­de.«
    »Ei­ne Stun­de ist ei­ne Stun­de.«
    »Viel­leicht kommt er auch frü­her.«
    »Wo ist er hin­ge­gan­gen?«
    »Zur Ame­ri­ka­ni­schen Bot­schaft. Er macht das je­den Abend.
Steht drau­ßen und sieht sie an. Wei­ter nichts. Dann kommt er zu­rück.«
    Wie­sen­hoff sag­te et­was, das Ra­vic nicht ver­stand.
»Na­tür­lich«, er­wi­der­te Ruth Gold­berg zän­kisch. »Wer ist nicht ver­rückt? Daß er
alt ist, weiß ich auch.«
    »Laß das«, sag­te sie nach ei­ner Wei­le. »Ich ha­be kei­ne
Lust jetzt. Bin nicht in Stim­mung.«
    Wie­sen­hoff er­wi­der­te et­was.
    »Du hast gut re­den«, sag­te sie. »Er hat doch das Geld.
Ich ha­be kei­nen Cen­ti­me. Und du ...«
    Ra­vic stand auf. Er blick­te auf das Te­le­fon und zö­ger­te.
Es war bei­na­he zehn Uhr. Er hat­te von Jo­an nichts mehr ge­hört, seit sie mor­gens
ge­gan­gen war. Er hat­te sie nicht ge­fragt, ob sie abends kom­men wür­de. Er war
si­cher ge­we­sen, daß sie kom­men wür­de. Jetzt war er es nicht mehr.
    »Für dich ist das ein­fach! Du willst nur dein Ver­gnü­gen
ha­ben, sonst nichts«, sag­te Frau Gold­berg.
    Ra­vic ging zu Mo­ro­sow. Sein Zim­mer war ver­schlos­sen. Er
stieg die Trep­pen hin­un­ter zur Ka­ta­kom­be. »Wenn je­mand an­ruft, ich bin da un­ten«,
sag­te er zu dem Con­cier­ge.
    Mo­ro­sow war da. Er spiel­te Schach mit ei­nem rot­haa­ri­gen
Mann. Ein paar Frau­en sa­ßen in den Ecken her­um. Sie strick­ten oder la­sen mit
sor­gen­vol­len Ge­sich­tern.
    Ra­vic sah ei­ne Zeit­lang dem Schach­spiel zu. Der
rot­haa­ri­ge Mann war gut. Er spiel­te rasch und völ­lig un­be­tei­ligt, und Mo­ro­sow
war am Ver­lie­ren. »Al­ler­hand, was mir hier pas­siert, was?« frag­te er.
    Ra­vic zuck­te die Ach­seln. Der rot­haa­ri­ge Mann sah auf.
»Das ist Herr Fin­ken­stein«, sag­te Mo­ro­sow. »Frisch aus Deutsch­land.«
    Ra­vic nick­te. »Wie ist es da jetzt?« frag­te er oh­ne
In­ter­es­se, nur um et­was zu sa­gen.
    Der rot­haa­ri­ge Mann hob die Schul­tern und sag­te nichts.
Ra­vic hat­te es auch nicht er­war­tet. Das hat­te es nur in den ers­ten Jah­ren
ge­ge­ben: das ei­li­ge Fra­gen, die Er­war­tung, das fie­ber­haf­te Hor­chen auf einen
Zu­sam­men­bruch. Jetzt wuß­te je­der längst, daß nur ein Krieg das brin­gen konn­te.
Und je­der Mensch mit et­was Ver­stand wuß­te eben­so, daß ei­ne Re­gie­rung, die ihr
Ar­beits­lo­sen­pro­blem durch die Rüs­tungs­in­dus­trie lös­te, nur zwei Mög­lich­kei­ten
hat­te: Krieg oder ei­ne in­ter­ne Ka­ta­stro­phe. Al­so Krieg.
    »Matt«, sag­te Fin­ken­stein oh­ne En­thu­si­as­mus und stand
auf. Er sah Ra­vic an. »Was macht man nur, da­mit man schläft? Ich kann hier
nicht schla­fen. Ich schla­fe ein und wa­che so­fort wie­der auf.«
    »Trin­ken«, sag­te Mo­ro­sow.

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