E.M. Remarque
war verändert. Wie schnell sich das tröstet,
dachte er. Aber warum sollte sie nicht? Sie glaubt, erreicht zu haben, was sie
wollte, auch ohne hierzubleiben. Sie küßte ihn. »Ich wußte, daß du so sein
würdest, Ravic. Du mußtest so sein. Ich gehe jetzt. Bring mich nicht nach
Hause. Ich kann jetzt allein gehen.«
Sie stand an der Tür. »Komm nicht wieder«, sagte er. »Und
bedenke nichts. Du gehst nicht unter.«
»Nein. Gute Nacht, Ravic.«
»Gute Nacht, Joan.«
Er ging zur Wand und machte Licht. Du mußt so sein, er
schüttelte sich leicht. Aus Lehm und Gold sind Sie gemacht, dachte er. Aus Lüge
und Erschütterung. Aus Schwindel und schamloser Wahrheit. Er setzte sich ans
Fenster. Von unten kam immer noch das leise, monotone Klagen. Eine Frau, die
ihren Mann betrogen hatte und ihn bejammerte, weil er tot war. Vielleicht aber
auch nur, weil ihre Religion es so vorschrieb. Ravic wunderte sich, daß er
nicht unglücklicher war.
23
23 »Ich
bin zurück, Ravic, ja«, sagte Kate Hegström.
Sie saß in ihrem Zimmer im Hotel Lancaster. Sie war schmaler
geworden. Das Fleisch unter der Haut schien eingesunken, als wäre es von feinen
Instrumenten von innen heraus ausgehöhlt worden. Die Linien traten mehr hervor;
und die Haut war wie Seide, die leicht reißen konnte.
»Ich glaubte Sie noch in Florenz – oder in Cannes – oder
schon in Amerika«, sagte Ravic.
»Ich war die ganze Zeit in Florenz. In Fiesole. Bis ich
es nicht mehr aushalten konnte. Erinnern Sie sich noch, wie ich Sie überreden
wollte, mitzukommen? Bücher, ein Feuer, Abende, Frieden? Die Bücher waren da –
das Feuer im Kamin auch –, aber Friede? Ravic, selbst die Stadt des Franziskus
von Assisi ist laut geworden. Laut und unruhig, wie alles drüben. Da, wo er den
Vögeln von der Liebe gepredigt hat, ziehen jetzt Kolonnen in Uniformen umher
und berauschen sich an Großtuerei, Worten und grundlosem Haß.«
»Das war doch schon immer so, Kate.«
»Nicht so. Vor ein paar Jahren war mein Hausverwalter
noch ein freundlicher Mann in Manchesterhosen und Bastschuhen. Jetzt ist er ein
Held in hohen Stiefeln, einem schwarzen Hemd, gespickt mit goldenen Dolchen,
und hält Vorträge – das Mittelmeer müsse italienisch werden, England vernichtet
und Nizza, Korsika und Savoyen zurück zu Italien. Ravic, diese liebenswürdige
Nation, die seit Ewigkeiten keinen Krieg gewonnen hat, ist verrückt geworden,
seit man sie in Abessinien und Spanien hat gewinnen lassen. Freunde von mir,
die vor drei Jahren noch vernünftig waren, glauben heute ernsthaft, daß sie
England in drei Monaten besiegen können. Das Land kocht. Was ist nur los? Ich
bin aus Wien geflohen vor der Brutalität brauner Hemden – ich habe jetzt
Italien verlassen vor dem Wahnsinn schwarzer – anderswo soll es grüne geben; in
Amerika natürlich silberne – ist die Erde in einem Hemdentaumel?«
»Scheinbar. Aber das wird sich wohl bald ändern. Die
Einheitsfarbe wird rot werden.«
»Rot?«
»Ja, rot wie Blut.«
Kate Hegström sah hinunter in den Hof. Das späte
Nachmittagslicht filterte dort sanft und grün durch das Laub der Kastanien.
»Man kann das nicht glauben«, sagte sie. »Zwei Kriege in zwanzig Jahren – das
ist zuviel. Wir sind noch zu müde vom ersten.«
»Nur die Sieger. Nicht die Besiegten. Siegen macht
achtlos.«
»Ja, vielleicht.« Sie sah ihn an. »Da ist nicht mehr viel
Zeit übrig, wie?«
»Nicht allzuviel mehr, fürchte ich.«
»Glauben Sie, daß es genug für mich ist?«
»Warum nicht?« Ravic blickte auf. Sie wich seinen Augen
nicht aus. »Haben Sie Fiola gesehen?« fragte er.
»Ja, ein-, zweimal. Er war einer der wenigen, die nicht
angesteckt waren von der schwarzen Pest.«
Ravic antwortete nicht. Er wartete.
Kate Hegström nahm eine Kette Perlen vom Tisch und ließ
sie durch
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