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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
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her­ein­zu­kom­men.
    Ra­vic stell­te den Cal­va­dos und den Vouvray auf den Tisch.
Durch das of­fe­ne Fens­ter hör­te er die Stim­me, die er vom Kor­ri­dor her ge­hört
hat­te. To­ten­kla­ge. Sie schwoll an, ver­ebb­te und be­gann wie­der. Wahr­schein­lich
stan­den bei Gold­berg die Fens­ter of­fen in der war­men Nacht, in der der stei­fe
Kör­per des al­ten Aaron in ei­nem Zim­mer mit Ma­ha­go­ni­mö­beln jetzt lang­sam zu
ver­we­sen be­gann.
    »Ra­vic«, sag­te Jo­an. »Ich bin trau­rig. Ich weiß nicht,
warum. Den gan­zen Tag schon. Laß mich hier blei­ben.«
    Er ant­wor­te­te nicht gleich. Er fühl­te sich über­rum­pelt.
Er hat­te das an­ders er­war­tet. Nicht so di­rekt.
    »Wie lan­ge?« frag­te er.
    »Bis mor­gen.«
    »Das ist nicht lan­ge ge­nug.«
    Sie setz­te sich auf das Bett. »Kön­nen wir das nicht
ein­mal ver­ges­sen?«
    »Nein, Jo­an.«
    »Ich will nichts. Ich will nur ne­ben dir schla­fen. Oder
laß mich auf dem So­fa schla­fen.«
    »Es geht nicht. Ich muß auch noch fort. Zur Kli­nik.«
    »Das macht nichts. Ich wer­de auf dich war­ten. Ich ha­be
das ja schon oft ge­tan.«
    Er ant­wor­te­te nicht. Er wun­der­te sich, daß er so ru­hig
war. Die Wär­me und die Er­re­gung, die er auf der Stra­ße ge­fühlt hat­te, wa­ren
ver­schwun­den.
    »Du mußt auch nicht zur Kli­nik«, sag­te Jo­an.
    Er schwieg einen Au­gen­blick. Er wuß­te, wenn er mit ihr
schlief, war er ver­lo­ren. Es war wie einen Wech­sel un­ter­zeich­nen, der durch
nichts mehr ge­deckt war. Sie wür­de wie­der und wie­der kom­men und auf das po­chen,
was sie er­reicht hat­te, und je­des­mal et­was ver­lan­gen, oh­ne selbst et­was
auf­zu­ge­ben, bis er völ­lig in ih­ren Hän­den war und sie ihn dann schließ­lich
ge­lang­weilt ver­ließ, schwach, kor­rupt in sich, ein Op­fer sei­ner Schwä­che und
sei­ner ge­bro­che­nen Be­gier­de. Sie be­ab­sich­tig­te das nicht; sie wuß­te nicht
ein­mal et­was da­von, aber es wür­de so kom­men. Es war ein­fach, zu den­ken, ei­ne
Nacht ma­che kei­nen Un­ter­schied; aber je­des­mal ging ein Stück Wi­der­stand und ein
Stück des­sen, was man nie im Le­ben kor­rum­pie­ren durf­te, mit. Die Sün­den ge­gen
den Geist nann­te das der ka­tho­li­sche Ka­te­chis­mus mit son­der­ba­rer, vor­sich­ti­ger
Furcht und füg­te, dun­kel, im Wi­der­spruch zur gan­zen Leh­re, hin­zu, daß sie we­der
in die­sem noch im an­de­ren Le­ben ver­ge­ben wür­den.
    »Es ist wahr«, sag­te Ra­vic. »Ich muß nicht zur Kli­nik.
Aber ich will nicht, daß du hier bleibst.«
    Er er­war­te­te einen Aus­bruch. Aber sie sag­te nur ru­hig:
»Warum nicht?«
    Soll­te er ver­su­chen, es ihr zu er­klä­ren? Konn­te er es
über­haupt? »Du ge­hörst nicht mehr hier­her«, sag­te er.
    »Ich ge­hö­re hier­her.«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    Er schwieg. Wie ge­schickt sie war! dach­te er. Durch
ein­fa­ches Fra­gen brach­te sie ihn zu Er­klä­run­gen. Und wer er­klär­te, ver­tei­dig­te
be­reits.
    »Du weißt es«, sag­te er. »Frag nicht so tö­richt.«
    »Du willst mich nicht mehr?«
    »Nein«, er­wi­der­te er und füg­te ge­gen sei­nen Wil­len hin­zu:
»Nicht so.«
    Durch das Fens­ter kam das ein­tö­ni­ge Wei­nen aus dem
Gold­berg­schen Zim­mer. Die Kla­ge um den Tod. Hir­ten­trau­er von Li­ba­non, in ei­ner
Pa­ri­ser Sei­ten­stra­ße.
    »Ra­vic«, sag­te Jo­an. »Du mußt mir hel­fen.«
    »Ich hel­fe dir am bes­ten, wenn ich dich al­lein las­se. Und
du mich auch.«
    Sie be­ach­te­te es nicht. »Du mußt mir hel­fen. Ich könn­te
lü­gen; aber ich will es nicht mehr. Ja, da ist je­mand. Aber es ist an­ders als
mit dir. Wenn es das­sel­be wä­re, wä­re ich nicht hier.«
    Ra­vic zog ei­ne Zi­ga­ret­te aus sei­ner Ta­sche. Er fühl­te das
tro­ckene Pa­pier. Da war es al­so. Nun wuß­te er es. Es war wie ein küh­les Mes­ser,
das nicht schmerz­te. Ge­wiß­heit schmerzt nie. Nur das Vor­her und Nach­her.
    »Es ist nie das­sel­be«, sag­te er. »Und es ist im­mer
das­sel­be.«
    Was für ein bil­li­ges Zeug ich re­de, dach­te er.
Zei­tungs­pa­ra­do­xe. Wie schä­big Wahr­hei­ten wer­den kön­nen, wenn man sie
aus­spricht.
    Jo­an rich­te­te sich auf. »Ra­vic«, sag­te sie. »Du weißt,
daß es nicht wahr ist, daß man

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