E.M. Remarque
nun
unfruchtbar wie eine taube Ähre und das Blut nicht mehr weiterreichen würde in
einen Sohn oder eine Tochter. Die Kette war unterbrochen worden durch die grobe
Hand Durants. Aber hatten an Durant nicht auch Tausende von Generationen
gearbeitet, hatten für ihn nicht auch Hellas und die Renaissance geblüht, um
seinen faulen Spitzbart hervorzubringen?
»Zum Kotzen«, sagte Ravic.
»Was?« fragte. Veber.
»So allerlei.«
Ravic richtete sich
auf. »Fertig.« Er sah in das fahle, liebliche Gesicht mit den leuchtenden
Haaren hinter dem Anästhesiebügel. Er sah in den Eimer, in dem blutig
verschmiert das lag, was dieses Gesicht so schön gemacht hatte. Dann sah er
Durant an. »Fertig«, sagte er noch einmal.
Durant beendete die Anästhesie.
Er sah Ravic nicht an.
Er wartete, bis die Schwestern den Wagen hinausschoben.
Dann folgte er ihm, ohne etwas zu sagen.
»Morgen wird er fünftausend Frank mehr für die Operation
verlangen«, sagte Ravic zu Veber. »Und ihr erklären, daß er ihr das Leben
gerettet hat.«
»Es sieht im Augenblick nicht so aus.«
»Ein Tag ist eine lange Zeit. Und Reue ist kurz.
Besonders, wenn sie sich in Geschäft umwandeln kann.«
Ravic wusch sich. Durch die Scheiben neben dem weißen
Waschstand sah er ein Fensterbrett gegenüber, auf dem rote Geranien blühten.
Eine graue Katze saß unter den Blütendolden.
Er telefonierte nachts um ein Uhr zu Durants Klinik. Er
telefonierte von der Scheherazade aus. Die Nachtschwester erklärte, die Frau
schliefe. Sie sei vor zwei Stunden unruhig geworden. Veber sei dagewesen und
habe ihr ein leichtes Sedativ gegeben. Es schien alles in Ordnung.
Ravic öffnete die Telefonzelle. Ein starker Geruch von
Parfüm schlug ihm entgegen. Eine Frau mit gebleichten, gelben Haaren rauschte
stolz und herausfordernd in die Damentoilette. Das Haar der Frau in der Klinik
war echtes Blond gewesen. Rötliches, leuchtendes Blond! Er zündete sich eine
Zigarette an und ging in die Scheherazade zurück. Der ewige russische Chor sang
dort die ewigen »Schwarzen Augen«; er sang sie seit zwanzig Jahren über die
Welt. Tragik, zwanzig Jahre lang, hatte die Gefahr der Lächerlichkeit, dachte
Ravic. Tragik mußte kurz sein.
»Entschuldigen Sie«, sagte er zu Kate Hegström. »Aber ich
hatte zu telefonieren.«
»Ist alles in Ordnung?«
»Bis jetzt ja.«
Wozu fragte sie das? dachte er irritiert. Bei ihr selbst
ist doch wahrhaftig nicht alles in Ordnung. »Haben Sie, was Sie wollen, hier?«
Er zeigte auf die Karaffe mit Wodka.
»Nein.«
»Nein?«
Kate Hegström schüttelte den Kopf.
»Das ist der Sommer. Im Sommer soll man nicht in
Nachtklubs hocken. Im Sommer soll man auf der Terrasse sitzen. In der Nähe
eines noch so schwindsüchtigen Baumes, mit einem Eisengitter darum
meinetwegen.«
Er sah auf und blickte gerade in die Augen Joans. Sie
mußte in der Zeit gekommen sein, während er telefoniert hatte. Vorher war sie
nicht dagewesen. Sie saß in der gegenüberliegenden Ecke.
»Wollen Sie anderswohin gehen?« fragte er Kate Hegström.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Sie? Zu irgendeinem
schwindsüchtigen Baum?«
»Da sind die Wodkas meistens auch schwindsüchtig. Dieser
hier ist gut.«
Der Chor hörte auf zu singen, und die Musik wechselte.
Das Orchester begann einen Blues. Joan erhob sich und ging zur Tanzfläche
hinüber. Ravic konnte sie nicht genau sehen. Auch nicht, mit wem sie war. Nur
wenn der Scheinwerfer die Fläche blaufahl streifte, tauchte sie jedesmal ins
Licht und verschwand dann wieder im Halbdunkel.
»Haben Sie heute operiert?« fragte Kate Hegström.
»Ja ...«
»Wie ist das, wenn man dann abends in einem Nachtklub
sitzt? Ist das, wie wenn man aus einer Schlacht in eine Stadt zurückkommt? Oder
aus einer Krankheit
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