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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
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öff­ne­te, aus­ein­an­der­fiel wie ein
Schlaf­rock. Das blei­che Fleisch schim­mer­te un­deut­lich. Schwar­ze, lan­ge
Strümp­fe, ein schwar­zer Schoß, schwar­ze Au­gen­höh­len, in de­ren Schat­ten man die
Au­gen nicht mehr sah; mür­bes, zer­fal­len­des Fleisch, das schon zu
phos­pho­res­zie­ren schi­en.
    Ein Zu­häl­ter, ei­ne Zi­ga­ret­te an der Ober­lip­pe kle­bend,
lehn­te an ei­nem Baum und starr­te ihn an. Ein paar Ge­mü­se­wa­gen ka­men vor­bei.
Pfer­de, ni­ckend, schwe­re, zie­hen­de Mus­keln un­ter dem Fell. Der wür­zi­ge Ge­ruch
von Kräu­tern, von Blu­men­kohl­köp­fen, die aus­sa­hen wie ver­stei­ner­te Ge­hir­ne in
grü­nen Blät­tern. Das Rot der To­ma­ten, die Kör­be mit Boh­nen, Zwie­beln, Kir­schen
und Sel­le­rie.
    Was ging es ihn noch an? Ei­ner mehr oder we­ni­ger. Ei­ner
mehr oder we­ni­ger von Hun­dert­tau­sen­den, die eben­so schlimm wa­ren oder noch
schlim­mer. Ei­ner we­ni­ger. Er blieb mit ei­nem Ruck ste­hen. Das war es! Er war
auf ein­mal ganz wach. Das war es! Das hat­te sie groß wer­den las­sen, daß man
mü­de wur­de, daß man ver­ges­sen woll­te, daß man dach­te: was geht es mich noch an?
Das war es! Ei­ner we­ni­ger! Ja, ei­ner we­ni­ger – das war nichts, aber es war auch
al­les! Al­les! Er zog lang­sam ei­ne Zi­ga­ret­te aus der Ta­sche und zün­de­te sie
lang­sam an. Und plötz­lich, wäh­rend das gel­be Licht des Streich­hol­zes die
In­nen­flä­che sei­ner Hän­de be­leuch­te­te, wie ei­ne Höh­le mit Schluch­ten von Li­ni­en
dar­in, wuß­te er, daß ihn nichts ab­hal­ten konn­te, Haa­ke zu tö­ten. In ei­ner
son­der­ba­ren Wei­se kam al­les dar­auf an. Es war auf ein­mal weit mehr als ei­ne
per­sön­li­che Ra­che. Es war so, daß, wenn er es nicht tat, er sich ei­nes
un­end­li­chen Ver­bre­chens schul­dig mach­te – daß ir­gend et­was in der Welt ver­lo­ren
war für im­mer, wenn er nicht han­del­te. Er wuß­te gleich­zei­tig ge­nau, daß es
nicht so war – aber trotz­dem weit jen­seits von Er­klä­rung und Lo­gik stand das
fins­te­re Wis­sen in sei­nem Blut, daß er es tun müs­se –, als wür­den un­sicht­ba­re
Wel­len da­von aus­lau­fen und weit Grö­ße­res spä­ter ge­sche­hen. Er wuß­te, Haa­ke war
ein klei­ner Be­am­ter des Schre­ckens, und er be­deu­tet nicht viel – aber er wuß­te
plötz­lich auch, daß es un­end­lich wich­tig war, ihn zu tö­ten.
    Das Licht in der Höh­le sei­ner Hand er­losch. Er warf das
Streich­holz weg. Die Däm­me­rung hing in den Bäu­men. Ein Sil­ber­ge­spinst, ge­hal­ten
vom Piz­zi­ka­to der er­wa­chen­den Spat­zen. Er sah sich ver­wun­dert um. Et­was in ihm
war ge­sche­hen. Ein un­sicht­ba­res Ge­richt war ab­ge­hal­ten wor­den und ein Ur­teil
ge­spro­chen. Er sah über­aus klar die Bäu­me, die gel­be Mau­er ei­nes Hau­ses, die
graue Far­be ei­nes Ei­sen­git­ters ne­ben sich, die Stra­ße im blau­en Dunst – er
hat­te das Ge­fühl, daß er sie nie ver­ges­sen wer­de. Und er wuß­te erst in die­sem
Au­gen­blick wirk­lich, daß er Haa­ke tö­ten wer­de und daß es nicht mehr sei­ne
ei­ge­ne klei­ne An­ge­le­gen­heit war, son­dern weit mehr. Ein An­fang.
    Er kam am Ein­gang der »Osi­ris« vor­bei. Ein paar
Be­trun­ke­ne tau­mel­ten her­aus. Ih­re Au­gen wa­ren gla­sig; die Ge­sich­ter rot. Es war
kein Ta­xi da. Sie schimpf­ten ei­ne Wei­le und gin­gen dann wei­ter, schwer, kräf­tig
und laut. Sie spra­chen deutsch.
    Ra­vic hat­te zum Ho­tel ge­hen wol­len. Er än­der­te jetzt
sei­ne Ab­sicht. Ihm fiel ein, daß Ro­lan­de ihm ge­sagt hat­te, daß seit ei­ni­gen
Mo­na­ten oft deut­sche Tou­ris­ten in der »Osi­ris« wä­ren. Er trat ein.
    Ro­lan­de stand an der Bar, kühl be­ob­ach­tend, in ih­rem
schwar­zen Gou­ver­nan­ten­kleid. Das Or­che­stri­on tob­te hal­lend ge­gen die
ägyp­ti­schen Wän­de. »Ro­lan­de«, sag­te Ra­vic.
    Sie dreh­te sich um. »Ra­vic! Du warst lan­ge nicht hier.
Gut, daß du kommst.«
    »Warum?«
    Er stand ne­ben ihr an der Bar und über­blick­te das Lo­kal.
Es wa­ren nicht mehr viel Kli­en­ten da. Sie hock­ten hier und da schläf­rig an den
Ti­schen.
    »Ich ma­che Schluß hier«, sag­te Ro­lan­de. »In ei­ner Wo­che
rei­se

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