E.M. Remarque
öffnete, auseinanderfiel wie ein
Schlafrock. Das bleiche Fleisch schimmerte undeutlich. Schwarze, lange
Strümpfe, ein schwarzer Schoß, schwarze Augenhöhlen, in deren Schatten man die
Augen nicht mehr sah; mürbes, zerfallendes Fleisch, das schon zu
phosphoreszieren schien.
Ein Zuhälter, eine Zigarette an der Oberlippe klebend,
lehnte an einem Baum und starrte ihn an. Ein paar Gemüsewagen kamen vorbei.
Pferde, nickend, schwere, ziehende Muskeln unter dem Fell. Der würzige Geruch
von Kräutern, von Blumenkohlköpfen, die aussahen wie versteinerte Gehirne in
grünen Blättern. Das Rot der Tomaten, die Körbe mit Bohnen, Zwiebeln, Kirschen
und Sellerie.
Was ging es ihn noch an? Einer mehr oder weniger. Einer
mehr oder weniger von Hunderttausenden, die ebenso schlimm waren oder noch
schlimmer. Einer weniger. Er blieb mit einem Ruck stehen. Das war es! Er war
auf einmal ganz wach. Das war es! Das hatte sie groß werden lassen, daß man
müde wurde, daß man vergessen wollte, daß man dachte: was geht es mich noch an?
Das war es! Einer weniger! Ja, einer weniger – das war nichts, aber es war auch
alles! Alles! Er zog langsam eine Zigarette aus der Tasche und zündete sie
langsam an. Und plötzlich, während das gelbe Licht des Streichholzes die
Innenfläche seiner Hände beleuchtete, wie eine Höhle mit Schluchten von Linien
darin, wußte er, daß ihn nichts abhalten konnte, Haake zu töten. In einer
sonderbaren Weise kam alles darauf an. Es war auf einmal weit mehr als eine
persönliche Rache. Es war so, daß, wenn er es nicht tat, er sich eines
unendlichen Verbrechens schuldig machte – daß irgend etwas in der Welt verloren
war für immer, wenn er nicht handelte. Er wußte gleichzeitig genau, daß es
nicht so war – aber trotzdem weit jenseits von Erklärung und Logik stand das
finstere Wissen in seinem Blut, daß er es tun müsse –, als würden unsichtbare
Wellen davon auslaufen und weit Größeres später geschehen. Er wußte, Haake war
ein kleiner Beamter des Schreckens, und er bedeutet nicht viel – aber er wußte
plötzlich auch, daß es unendlich wichtig war, ihn zu töten.
Das Licht in der Höhle seiner Hand erlosch. Er warf das
Streichholz weg. Die Dämmerung hing in den Bäumen. Ein Silbergespinst, gehalten
vom Pizzikato der erwachenden Spatzen. Er sah sich verwundert um. Etwas in ihm
war geschehen. Ein unsichtbares Gericht war abgehalten worden und ein Urteil
gesprochen. Er sah überaus klar die Bäume, die gelbe Mauer eines Hauses, die
graue Farbe eines Eisengitters neben sich, die Straße im blauen Dunst – er
hatte das Gefühl, daß er sie nie vergessen werde. Und er wußte erst in diesem
Augenblick wirklich, daß er Haake töten werde und daß es nicht mehr seine
eigene kleine Angelegenheit war, sondern weit mehr. Ein Anfang.
Er kam am Eingang der »Osiris« vorbei. Ein paar
Betrunkene taumelten heraus. Ihre Augen waren glasig; die Gesichter rot. Es war
kein Taxi da. Sie schimpften eine Weile und gingen dann weiter, schwer, kräftig
und laut. Sie sprachen deutsch.
Ravic hatte zum Hotel gehen wollen. Er änderte jetzt
seine Absicht. Ihm fiel ein, daß Rolande ihm gesagt hatte, daß seit einigen
Monaten oft deutsche Touristen in der »Osiris« wären. Er trat ein.
Rolande stand an der Bar, kühl beobachtend, in ihrem
schwarzen Gouvernantenkleid. Das Orchestrion tobte hallend gegen die
ägyptischen Wände. »Rolande«, sagte Ravic.
Sie drehte sich um. »Ravic! Du warst lange nicht hier.
Gut, daß du kommst.«
»Warum?«
Er stand neben ihr an der Bar und überblickte das Lokal.
Es waren nicht mehr viel Klienten da. Sie hockten hier und da schläfrig an den
Tischen.
»Ich mache Schluß hier«, sagte Rolande. »In einer Woche
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