E.M. Remarque
Kommunisten – die
andern machten sich über beide lustig. Alle betrachteten zwischendurch zwei
schöne, selbstsichere Amerikanerinnen, die Vermouth tranken.
Ravic beobachtete die Straße, während er trank. Er war
nicht töricht genug, nicht an Zufälle zu glauben. Keine Zufälle gab es nur in
guter Literatur – das Leben war täglich voll der albernsten. Er blieb eine
halbe Stunde bei Fouquet’s. Es war leichter als mittags. Er ging noch einmal um
die Seite an den Champs-Elysées und dann ins Hotel zurück.
»Hier ist der Schlüssel für deinen Wagen«, sagte Morosow.
»Ich habe ihn umgetauscht. Es ist ein blauer Talbot jetzt, mit Ledersitzen. Der
andere hatte Sitze aus Kord. Leder kann man leichter abwaschen. Es ist ein
Kabriolett, du kannst es offen und geschlossen fahren. Laß aber immer die
Fenster offen. Wenn du im geschlossenen Wagen schießen mußt, schieß so, daß das
Fenster dahinter offen ist, damit die Kugel keine Spuren im Wagen hinterläßt.
Ich habe den Talbot für zwei Wochen gemietet. Bringe ihn auf keinen Fall gleich
in die Garage hinterher. Laß ihn in einer der Seitenstraßen stehen, die immer
voll sind mit Wagen. Auslüften. Er steht jetzt in der Rue de Berri, gegenüber
dem ›Lancaster‹.«
»Gut«, sagte Ravic. Er legte den Schlüssel neben das
Telefon. »Hier sind die Wagenpapiere. Einen Führerschein konnte ich nicht
besorgen. Wollte nicht zu viele Leute fragen.«
»Ich brauche keinen. Bin in Antibes die ganze Zeit ohne
einen gefahren.«
Ravic legte die Wagenpapiere zu den Schlüsseln. »Parke
den Wagen heute nachr in einer andern Straße«, sagte Morosow.
Melodrama, dachte Ravic. Schlechtes Melodrama. »Ich werde
es machen. Danke, Boris.«
»Ich wollte, ich könnte mit dir kommen.«
»Ich wollte nicht. So was macht man allein.«
»Ja. Aber nimm keine Chance und gib keine. Erledige ihn
und fertig.
Ravic lächelte. »Das hast du mir schon ein dutzendmal
gesagt.«
»Man kann es nicht oft genug sagen. Es ist verdammt, was
für Blödsinn einem in kritischen Momenten in den Schädel kommt. War mit
Wolkowski in Moskau 1915 so. Hatte plötzlich den Ehrenfimmel. Jägerfimmel.
Nicht kaltblütig abschlachten und so. Wurde erschossen von einem Schwein. Hast
du genug Zigaretten?«
»Hundert. Und ich kann hier für alles telefonieren.«
»Komm ’rüber und weck mich, wenn ich nicht mehr in der
Scheherazade bin.«
»Ich komme auf jeden Fall. Ganz gleich, ob nun etwas
passiert.«
»Gut. Servus, Ravic.«
»Servus, Boris.«
Ravic schloß die Tür hinter Morosow. Das Zimmer war
plötzlich sehr still. Er setzte sich in die Ecke des Sofas. Er sah auf die
Tapeten. Sie waren aus blauem Stoff, mit Leisten eingefaßt. Er kannte sie
besser in zwei Tagen als andere, in denen er viele Jahre gelebt hatte. Er
kannte die Spiegel, er kannte den grauen Velour des Fußbodens mit dem dunklen
Fleck am Fenster, er kannte jede Linie des Tisches, des Bettes, die Bezüge der
Sessel – er kannte alles zum Erbrechen genau –, nur das Telefon kannte er
nicht.
29
29 Der
Talbot stand in der Rue de Bassano zwischen einem Renault und einem
Mercedes-Benz. Der Mercedes war neu und hatte ein italienisches Nummernschild.
Ravic manövrierte den Talbot heraus. Er war so ungeduldig, daß er nicht genau
aufpaßte; die hintere Stoßstange des Talbots streifte den linken Kotflügel des
Mercedes und hinterließ einen Kratzer. Er kümmerte sich nicht darum. Rasch fuhr
er den Wagen zum Boulevard Haussmann hinunter.
Er fuhr sehr schnell. Es war gut, den Wagen in der Hand
zu haben. Es war gut gegen die finstere Enttäuschung, die ihm wie Zement im
Magen saß.
Es war vier Uhr morgens. Er hätte länger warten sollen.
Aber plötzlich war ihm alles sinnlos erschienen. Haake hatte
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