E.M. Remarque
immer nur zwei, drei Tage in Paris bleibt. Danach
muß er jetzt schon wieder weg sein. Wenn er überhaupt hier war.«
»Geh schlafen«, sagte Morosow.
»Ich kann nicht schlafen. Ich fahre jetzt zurück zum
›Prince de Galles‹, hole meine Koffer und gebe die Bude auf.«
»Gut«, sagte Morosow. »Ich treffe dich dann morgen mittag
da.«
»Wo?«
»Im ›Prince de Galles‹.«
Ravic sah ihn an. »Ja, natürlich. Ich rede Unsinn. Oder
nicht. Vielleicht auch nicht.«
»Warte noch bis morgen abend.«
»Gut. Ich will sehen. Gute Nacht, Boris.«
»Gute Nacht, Ravic.«
Ravic fuhr an der »Osiris« vorbei. Er parkte den Wagen
um die Ecke. Ihm graute davor, in sein Zimmer im »International« zu gehen.
Vielleicht konnte er hier ein paar Stunden schlafen. Es war Montag. Ein ruhiger
Tag für Bordelle. Der Portier war nicht draußen. Wahrscheinlich kaum jemand da.
Rolande stand in der Nähe der Tür und überblickte den
großen Raum. Die Musikorgel lärmte durch den fast leeren Raum. »Nicht viel los
heute, wie?« fragte Ravic.
»Nichts. Nur noch dieser Langweiler da. Geil wie ein
Affe, will aber nicht ’raufgehen. Kennst ja den Typ. Möchte, aber hat Angst.
Wieder mal ein Deutscher. Na, er hat gezahlt; lange kann es nicht mehr dauern.«
Ravic sah gleichgültig zu dem Tisch hinüber. Der Mann saß
mit dem Rücken zu ihm. Er hatte zwei Mädchen bei sich. Als er sich zu einer
hinüberbeugte und ihre beiden Brüste in seine Hände nahm, sah Ravic sein Gesicht.
Es war Haake.
Er hörte Rolande durch einen Wirbel sprechen. Er verstand
nicht, was sie sagte. Er merkte nur, daß er zurückgetreten war und jetzt in der
Tür stand, so, daß er gerade noch den Rand des Tisches sehen und selbst nicht
gesehen werden konnte.
»Einen Kognak?« kam Rolandes Stimme endlich durch den
Wirbel.
Das Kreischen der Orgel. Das Schwanken immer noch, der
Krampf im Zwerchfell. Ravic grub die Nägel in seine Fäuste.
Haake durfte ihn hier nicht sehen. Und Rolande durfte
nicht sehen, daß er ihn kannte.
»Nein«, hörte er sich sagen. »Habe schon genug gehabt.
Deutscher, sagst du? Kennst du ihn?«
»Keine Ahnung.« Rolande zuckte die Schultern.
»Einer sieht aus wie der andere. Glaube, dieser war noch
nie hier. Willst du nicht noch etwas trinken?«
»Nein. Habe nur mal rasch hineingesehen ...«
Er fühlte, daß Rolande ihn ansah, und zwang sich zur
Ruhe. »Ich wollte eigentlich nur hören, wann dein Abend ist«, sagte er. »War es
Donnerstag oder Freitag?«
»Donnerstag, Ravic. Du kommst doch?«
»Selbstverständlich. Ich wollte nur ganz sicher sein.«
»Donnerstag um sechs Uhr.«
»Gut. Ich werde pünktlich sein. Das war alles, was ich
wollte. Ich muß jetzt fort. Gute Nacht, Rolande.«
»Gute Nacht, Ravic.«
Die weiße Nacht, brausend plötzlich. Keine Häuser mehr –
Steindickicht, Fensterdschungel. Krieg plötzlich wieder, schleichende
Patrouille, die leere Straße entlang. Der Unterstand des Wagens, hineingeduckt,
der Motor summend, lauern auf den Gegner.
Niederschießen, wenn er herauskam? Ravic sah die Straße
hinauf. Ein paar Wagen. Gelbe Lichter. Ein paar Katzen. Unter einer Laterne,
fern, etwas, das wie ein Polizist aussah. Die eigene Wagennummer, der Lärm des
Schusses, Rolande, die ihn kurz vorher gesehen hatte – er hörte Morosow:
»Riskier nichts, nichts, das ist so was nicht wert.«
Kein Portier. Kein Taxi! Gut! Montags gab es um diese
Zeit wenig Fuhren. Im Augenblick, als er es dachte, ratterte ein Citroën heran
und hielt vor der Tür. Der Chauffeur zündete sich eine Zigarette an und gähnte
laut. Ravic fühlte, wie seine Haut sich zusammenzog.
Er wartete.
Er überlegte, ob er aussteigen und dem Chauffeur sagen
sollte, niemand sei mehr da. Unmöglich. Ihn wegschicken, bezahlen, mit
irgendeinem Auftrag Zu Morosow. Er riß einen Zettel heraus, schrieb ein
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