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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
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Fins­ter­nis. Der Ge­ruch von Aka­zi­en
stürz­te durch die of­fe­nen Fens­ter. Das Ge­räusch der Rei­fen auf dem As­phalt,
sanft, stän­dig, als wol­le es nie en­den. Der Mo­tor, sum­mend, ver­traut, tief und
lei­se in der feuch­ten Nacht­luft. Der Schim­mer ei­nes klei­nen Tei­ches, die
Sil­hou­et­te der Wei­den, hel­ler vor den dunklen Bu­chen. Wie­sen, übertaut,
perl­mut­tern, fahl. Die Rou­te de Ma­drid, die Rou­te de la Por­te St.-Ja­mes, die
Rou­te de Deuil­ly. Ein ver­schla­fe­nes Haus. Der Ge­ruch von Was­ser. Die Sei­ne.
    Ra­vic fuhr den Bou­le­vard de la Sei­ne ent­lang. Auf dem
mond­be­schie­ne­nen Was­ser trie­ben, in Ab­stän­den, schwarz, zwei Schif­fer­bar­ken.
Von der ent­fern­te­ren bell­te ein Hund. Über das Was­ser ka­men Stim­men. Auf dem
Vor­der­teil der ers­ten Bar­ke brann­te ein Licht. Ra­vic hielt den Wa­gen nicht an.
Er hielt ihn in gleich­mä­ßi­gem Tem­po, um Haa­ke nicht zu we­cken, und fuhr die
Sei­ne ent­lang. Er hat­te hier hal­ten wol­len. Es war un­mög­lich. Die Bar­ken wa­ren
zu dicht am Ufer. Er bog in die Rou­te de la Fem­me ein, weg vom Fluß, zu­rück zur
Al­lee de Long­champs. Er folg­te ihr über die Al­lee de la Rei­ne Mar­gue­ri­te und
bog dann in die schma­le­ren Al­leen ein.
    Als er zu Haa­ke hin­über­blick­te, sah er, daß des­sen Au­gen
of­fen wa­ren. Haa­ke blick­te ihn an. Sei­ne Au­gen glänz­ten wie blaue Glas­bäl­le im
schwa­chen Licht des In­stru­men­ten­bret­tes. Es war wie ein elek­tri­scher Schlag.
»Auf­ge­wacht?« frag­te Ra­vic.
    Haa­ke ant­wor­te­te nicht. Er sah Ra­vic an. Er be­weg­te sich
nicht. Selbst sei­ne Au­gen be­weg­ten sich nicht.
    »Wo sind wir?« frag­te er end­lich.
    »Im Bois de Bou­lo­gne. Dicht beim
›Re­stau­rant des Cas­ca­des‹.«
    »Wie lan­ge fah­ren wir schon?«
    »Zehn Mi­nu­ten.«
    »Wir fah­ren län­ger.«
    »Kaum.«
    »Be­vor ich ein­sch­lief, ha­be ich auf die Uhr ge­se­hen. Wir
fah­ren über ei­ne hal­be Stun­de.«
    »Wirk­lich?« sag­te Ra­vic. »Ich dach­te, es wä­re kür­zer. Wir
sind bald da.«
    Haa­ke hat­te sei­ne Au­gen nicht von Ra­vic ge­las­sen. »Wo?«
    »In dem Mai­son de Ren­dez­vous.«
    Haa­ke be­weg­te sich. »Fah­ren Sie zu­rück«, sag­te er.
    »Jetzt?«
    »Ja.«
    Er war nicht mehr be­trun­ken. Er war klar und wach. Sein
Ge­sicht war ver­än­dert. Die Jo­via­li­tät und Bon­ho­mie war ver­schwun­den. Ra­vic sah
jetzt zum ers­ten­mal das Ge­sicht wie­der, das er kann­te, das Ge­sicht, das sich
ihm in der Schre­ckens­kam­mer der Ge­sta­po für im­mer ins Ge­hirn ge­gra­ben hat­te.
Und plötz­lich ver­schwand die Ir­ri­ta­ti­on, die er die gan­ze Zeit ge­spürt hat­te –
das Ge­fühl, einen Frem­den, der ihn ei­gent­lich nichts an­ging, er­mor­den zu wol­len.
Er hat­te einen ge­müt­li­chen Rot­wein­trin­ker im Wa­gen ge­habt, und er hat­te
ver­geb­lich nach den Grün­den in dem Ge­sicht des Man­nes ge­sucht – den Grün­den,
die in sei­nem Kopf vor al­lem stan­den, was er auch zu den­ken ver­such­te. Jetzt
plötz­lich wa­ren wie­der die­sel­ben Au­gen, die vor ihm ge­we­sen wa­ren, wenn er aus
Ohn­mach­ten in Ago­ni­en von Schmer­zen er­wacht war. Die­sel­ben kal­ten Au­gen,
die­sel­be kal­te, lei­se, ein­dring­li­che Stim­me …
    Ir­gend et­was schwang in ihm jäh her­um. Es war wie ein
Strom, der die Po­le wech­sel­te. Die Span­nung war die­sel­be; aber das Fla­ckern­de,
Ner­vö­se, Wech­seln­de rich­te­te sich in einen glei­chen Strom, der nur ein Ziel
hat­te, und nichts war mehr da als das. Jah­re zer­fie­len in Asche, der Raum mit
den grau­en Wän­den war wie­der da, die schirm­lo­sen, wei­ßen Lich­ter, der Ge­ruch
nach Blut, Le­der, Schweiß, Qual und Angst …
    »Warum?« frag­te Ra­vic.
    »Ich muß zu­rück. Man war­tet auf mich im Ho­tel.«
    »Aber Sie sag­ten doch, Ih­re Sa­chen sei­en schon am
Bahn­hof.«
    »Das sind sie. Aber ich ha­be noch et­was zu tun. Ich hat­te
das ver­ges­sen. Fah­ren Sie zu­rück.«
    »Gut.«
    Ra­vic hat­te vor ei­ner Wo­che den Bois ein dut­zend­mal
ab­ge­fah­ren; am Tag und in der Nacht. Er wuß­te, wo er war. Ei­ni­ge Mi­nu­ten noch.
Er bog in ei­ne schma­le Al­lee nach links.
    »Fah­ren wir zu­rück?«
    »Ja.«
    Der

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