E.M. Remarque
sagte er. »Sie sind alle nicht
nüchtern. Sie haben nicht die geringste Chance. In ein paar Minuten würden Sie
mit gebrochenen Knochen hier herumliegen. Selbst wenn Sie nüchtern wären,
hätten Sie keine Chance.« Er stand auf, griff Navarro rasch an den Ellbogen,
hob ihn an, drehte ihn herum und stellte ihn so dicht neben Gomez auf den
Boden, daß Gomez beiseite treten mußte. »Und nun lassen Sie uns in Ruhe. Wir
haben Sie nicht aufgefordert, uns zu belästigen.« Er nahm die Fünf-Frank-Note
vom Tisch und legte sie auf das Tablett. »Das ist für Sie, Clarisse. Von den
Herren hier.«
»Erstmals, daß ich von denen etwas bekomme«, erklärte
Clarisse. »Danke.«
Gomez sagte etwas in Spanisch. Die fünf machten kehrt und
gingen zu ihrem Tisch zurück. »Schade«, sagte Morosow. »Ich hätte die Brüder
gern verprügelt. Geht leider deinetwegen nicht, du illegaler Findling.
Bedauerst du es nicht manchmal, daß du es nicht kannst?«
»Nicht bei denen. Es gibt andere, die ich haben möchte.«
Man hörte von dem Tisch in der Ecke ein paar Worte
Spanisch. Die fünf standen auf. Ein dreifaches Viva erscholl. Die Gläser wurden
klirrend niedergesetzt, und die Gruppe verließ martialisch den Raum.
»Fast hätte ich ihm den guten Calvados ins Gesicht
gegossen.«
Morosow nahm das Glas und trank es aus. »Und so was
regiert jetzt in Europa! Waren wir auch einmal so blödsinnig?«
»Ja«, sagte
Ravic.
Sie spielten ungefähr eine Stunde. Dann sah Morosow
auf. »Da kommt Charles«, sagte er. »Er will scheinbar etwas von dir.«
Ravic sah auf. Der Bursche aus der Conciergenloge kam
heran. Er hatte ein kleines Paket in der Hand. »Dies hier ist für Sie abgegeben
worden.«
»Für mich?«
Ravic betrachtete das Paket. Es war klein, in weißes
Seidenpapier gewickelt und verschnürt. Eine Adresse stand nicht drauf. »Ich
erwarte keine Pakete. Muß ein Irrtum sein. Wer hat es gebracht?«
»Eine Frau …
eine Dame …«, stotterte der Bursche.
»Eine Frau oder eine Dame?« fragte Morosow.
»So … so dazwischen.«
Morosow schmunzelte. »Ziemlich scharfsinnig.«
»Es steht kein Name darauf. Hat sie gesagt, es sei für
mich?«
»Das nicht gerade. Nicht Ihren Namen. Sie hat gesagt, für
den Arzt, der hier wohnt. Und … Sie kennen die Dame.«
»Hat sie das gesagt?«
»Nein«, platzte der Bursche heraus. »Aber sie kam doch
neulich nachts mit Ihnen.«
»Es kommen ab und zu Damen mit mir, Charles. Aber du
solltest wissen, daß Diskretion die erste Tugend eines Hotelangestellten ist.
Indiskretion ist für die Kavaliere der großen Welt.«
»Mach das Paket auf, Ravic«, sagte Morosow. »Selbst wenn
es nicht für dich ist. Wir haben schon Schlimmeres angestellt in unserem
bedauernswürdigen Leben.«
Ravic lachte und öffnete es. Er wickelte einen kleinen
Gegenstand aus. Es war die hölzerne Madonna, die er im Zimmer der Frau – er
dachte nach – wie hieß sie doch? Madeleine- Mad-, er hatte es vergessen. Irgend
so ein ähnlicher Name. Er sah in dem Seidenpapier nach. Es war kein Zettel
dabei. »Gut«, sagte er zu dem Burschen. »Es stimmt.«
Er stellte die Figur auf den Tisch. Sie stand sonderbar
fremd zwischen den Schachfiguren. »Russin?« fragte Morosow.
»Nein. Hatte ich anfangs auch gedacht.«
Ravic sah, daß das Lippenrot abgewaschen war. »Was soll
ich nur damit machen?«
»Stelle es irgendwo hin. Man kann vieles irgendwo
hinstellen. Es gibt für alles genug Platz in der Welt. Nur nicht für Menschen.«
»Sie werden den Mann beerdigt haben.«
»Ist es die?«
»Ja.«
»Hast du dich noch einmal um sie gekümmert?«
»Nein.«
»Sonderbar«, sagte Morosow, »daß wir immer glauben, etwas
getan zu haben, und dann aufhören, wenn es für den anderen am schwierigsten
wird.«
»Ich bin kein Wohltätigkeitsinstitut, Boris. Und
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