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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
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ich ha­be
schon Schlim­me­res ge­se­hen als das und nichts ge­tan. Warum soll es für sie jetzt
schwie­ri­ger sein?«
    »Weil sie jetzt erst wirk­lich al­lein ist. Bis­her war der
Mann im­mer noch da, auch wenn er tot war. Er war über der Er­de. Jetzt ist er
un­ter der Er­de – fort, nicht mehr da. Das da« – Mo­ro­sow zeig­te auf die Ma­don­na
– »ist kein Dank. Es ist ein Hil­fe­ruf.«
    »Ich ha­be mit ihr ge­schla­fen«, sag­te Ra­vic, »oh­ne zu
wis­sen, was los war. Ich will das ver­ges­sen.«
    »Un­sinn! So was ist das Un­wich­tigs­te von der Welt,
so­lan­ge es kei­ne Lie­be ist. Ich kann­te ei­ne Frau, die sag­te, es sei leich­ter,
mit ei­nem Mann zu schla­fen, als ihn beim Vor­na­men zu nen­nen.« Mo­ro­sow beug­te
sich vor. Sein großer, kah­ler Schä­del spie­gel­te sich im Licht. »Ich will dir
et­was sa­gen, Ra­vic, wir sol­len freund­lich sein, wenn wir es kön­nen und so­lan­ge
wir es kön­nen – denn wir wer­den in un­se­rem Le­ben noch ei­ni­ge so­ge­nann­te
Ver­bre­chen be­ge­hen. Ich we­nigs­tens. Und du wohl auch.«
    »Ja.«
    Mo­ro­sow leg­te sei­nen Arm um den Kü­bel der dürf­ti­gen
Pal­me. Sie schwank­te leicht. »Le­ben heißt, von an­dern le­ben. Wir fres­sen al­le
von­ein­an­der. So ein biß­chen Flim­mern von Gü­te ab und zu – das soll man sich
nicht neh­men las­sen. Es stärkt, wenn man schwie­rig lebt.«
    »Gut. Ich wer­de mor­gen mal nach­fra­gen bei ihr.«
    »Schön«, sag­te Mo­ro­sow. »Das war es, was ich mein­te. Und
nun laß das vie­le Re­den. Wer hat Weiß?«

5
    5    Der
Wirt kann­te Ra­vic gleich wie­der. »Die Da­me ist in ih­rem Zim­mer«, sag­te er.
    »Kön­nen Sie ihr te­le­fo­nie­ren, daß ich hier bin?«
    »Das Zim­mer hat kein Te­le­fon. Sie kön­nen ru­hig
hin­auf­ge­hen.«
    »Wel­che Num­mer ist es?«
    »Sie­ben­und­zwan­zig.«
    »Ich ha­be den Na­men nicht mehr im Kopf. Wie hieß sie
doch?« Der Wirt zeig­te kein Er­stau­nen. »Ma­dou. Jo­an Ma­dou«, füg­te er hin­zu.
»Glau­be nicht, daß sie wirk­lich so heißt. Künst­ler­na­me wahr­schein­lich.«
    »Wie­so Künst­ler­na­me?«
    »Sie hat sich als Schau­spie­le­rin ein­ge­tra­gen. Klingt doch
so, wie?«
    »Das weiß ich nicht. Ich kann­te einen Schau­spie­ler, der
nann­te sich Gu­stav Schmidt. Er hieß in Wirk­lich­keit Alex­an­der Ma­rie Graf von
Zam­bo­na. Gu­stav Schmidt war sein Künst­ler­na­me. Klang gar nicht so, wie?«
    Der Wirt gab sich nicht ge­schla­gen. »Heut­zu­ta­ge pas­siert
viel«, er­klär­te er.
    »Es pas­siert gar nicht ein­mal so viel. Wenn Sie
Ge­schich­te stu­die­ren, wer­den Sie fin­den, daß wir noch in ver­hält­nis­mä­ßig
ru­hi­gen Zei­ten le­ben.«
    »Dan­ke, mir ge­nügt’s.«
    »Mir auch. Aber man muß sei­nen Trost su­chen, wo man kann.
Num­mer sie­ben­und­zwan­zig, sag­ten Sie?«
    »Ja, mein Herr.«
    Ra­vic klopf­te. Nie­mand ant­wor­te­te. Er klopf­te noch ein­mal und
hör­te ei­ne un­deut­li­che Stim­me. Als er die Tür öff­ne­te, sah er die Frau. Sie saß
auf dem Bett, das an der Quer­wand stand, und blick­te lang­sam auf. Sie war
an­ge­zo­gen und trug das blaue Schnei­der­ko­stüm, in dem Ra­vic sie zum ers­ten Ma­le
ge­se­hen hat­te. Sie hät­te we­ni­ger ver­las­sen ge­wirkt, wenn sie ver­nach­läs­sigt, in
ir­gend­ei­nem Schlaf­rock her­um­ge­le­gen hät­te. Aber so, an­ge­zo­gen für nie­mand und
nichts, aus ei­ner Ge­wohn­heit her­aus, die jetzt nichts mehr be­deu­te­te, hat­te sie
et­was, daß Ra­vic einen Schlag aufs Herz gab. Er kann­te das – er hat­te Hun­der­te
von Men­schen so sit­zen se­hen, Emi­gran­ten, ver­schla­gen in frem­des­te Frem­de. Ei­ne
klei­ne In­sel un­ge­wis­sen Da­seins – so sa­ßen sie da und wuß­ten nicht wo­hin – und
nur die Ge­wohn­heit er­hielt sie am Le­ben.
    Er zog die Tür hin­ter sich zu. »Ich hof­fe, ich stö­re Sie
nicht«, sag­te er und emp­fand so­fort, wie sinn­los das war. Was konn­te die Frau
schon stö­ren? Da war nichts, was sie noch stö­ren konn­te.
    Er leg­te sei­nen Hut auf einen Stuhl. »Konn­ten Sie al­les
er­le­di­gen?« frag­te er.
    »Ja. Es war nicht viel.«
    »Kei­ne Schwie­rig­kei­ten?«
    »Nein.«
    Ra­vic setz­te sich in den ein­zi­gen Ses­sel des Zim­mers.

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