E.M. Remarque
Die
Sprungfedern knarrten, und er fühlte, daß eine zerbrochen war.
»Wollten Sie fortgehen?« fragte er.
»Ja. Irgendwann. Später. Nirgendwohin – nur so. Was soll
man sonst tun?«
»Nichts. Es ist richtig; für ein paar Tage. Kennen Sie
niemand in Paris?«
»Nein.«
»Niemand?«
Die Frau hob mit einer müden Bewegung den Kopf. »Niemand
– außer Ihnen, den Wirt, den Kellner und das Zimmermädchen.« Sie lächelte
trübe. »Das ist nicht viel, wie?«
»Nein. Kannte …« Ravic suchte nach dem Namen des toten
Mannes. Er hatte ihn vergessen.
»Nein«, sagte die Frau. »Raczinsky hatte keine Bekannten
hier, oder ich habe sie nie gesehen. Er wurde gleich krank, als wir hier
ankamen.«
Ravic hatte nicht lange bleiben wollen. Jetzt, als er die
Frau so dasitzen sah, änderte er seine Absicht. »Haben Sie schon zu Abend
gegessen?«
»Nein. Ich bin auch nicht hungrig.«
»Haben Sie heute überhaupt schon etwas gegessen?«
»Ja. Heute mittag.
Tagsüber ist das einfacher. Abends …« – Ravic blickte sich um. Das
kleine, kahle Zimmer roch nach Trostlosigkeit und November. »Es wird Zeit, daß
Sie hier herauskommen«, sagte er. »Kommen Sie. Wir werden zusammen essen
gehen.«
Er hatte erwartet, daß die Frau Einwendungen machen
würde. Sie schien so gleichgültig, als könne sie sich zu nichts mehr aufraffen.
Aber sie stand gleich auf und griff nach ihrem Regenmantel.
»Das da ist nicht
genug«, sagte er. »Der Mantel ist viel zu dünn. Haben Sie keinen wärmeren? Es ist
kalt draußen.«
»Es regnete vorhin ...«
»Es regnet immer noch. Aber es ist kalt. Können Sie nicht
etwas darunter anziehen. Einen anderen Mantel oder wenigstens einen Sweater?«
»Ich habe einen Sweater.«
Sie ging zu dem größeren Koffer. Ravic sah, daß sie fast
nichts ausgepackt hatte. Sie holte einen schwarzen Sweater aus dem Koffer, zog
die Jacke aus und streifte ihn über. Sie hatte gerade und schöne Schultern.
Dann nahm sie die Baskenmütze und zog die Jacke und den Mantel an. »Ist es so
besser?«
»Viel besser.«
Sie gingen die Treppe hinunter. Der Wirt war nicht mehr
da. Statt dessen saß der Concierge neben dem Schlüsselbrett. Er sortierte
Briefe und roch nach Knoblauch. Neben ihm saß regungslos eine gefleckte Katze
und sah ihm zu.
»Haben Sie immer noch das Gefühl, daß Sie nichts essen
können?« fragte Ravic draußen.
»Ich weiß es nicht. Nicht viel, glaube ich.«
Ravic winkte ein Taxi heran. »Gut. Dann werden wir in die
›Belle Aurore‹ fahren. Da braucht man kein langes Diner zu essen.«
Die »Belle Aurore« war nicht sehr besetzt. Es war schon zu
spät dafür. Sie fanden einen Tisch in dem schmalen, oberen Raum mit der
niedrigen Decke. Außer ihnen war nur noch ein Paar da, das am Fenster saß und
Käse aß, und ein einzelner, dünner Mann, der einen Berg Austern vor sich hatte.
Der Kellner kam und besah das gewürfelte Tischtuch kritisch. Dann entschloß er
sich, es zu wechseln.
»Zwei Wodkas«, bestellte Ravic. »Kalt.«
»Wir werden etwas trinken und Vorspeisen essen«, sagte er
zu der Frau. »Ich glaube, das ist das richtige für Sie. Dies ist ein Restaurant
für Hors d’œuvres. Es gibt kaum etwas anderes hier. Jedenfalls kommt man fast
nie dazu, etwas anderes zu essen. Es gibt Dutzende, warme und kalte, und alle
sind sehr gut; wir werden es einmal versuchen.«
Der Kellner brachte den Wodka und holte einen Notizblock
heraus. »Eine Karaffe Vin rosé«, sagte Ravic. »Haben Sie Anjou?«
»Anjou, offen, rosé, sehr wohl, mein Herr.«
»Gut. Eine große Karaffe in Eis. Und die Vorspeisen.«
Der Kellner ging. Er stieß an der Tür fast zusammen mit
einer Frau in einem roten Federhut, die rasch die Treppe heraufkam. Sie schob
ihn beiseite und ging auf den dünnen Mann mit den Austern zu. »Albert«, sagte
sie. »Du Schwein ...«
»Tsk, tsk«, machte Albert und
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