E.M. Remarque
»Außerhalb der kleinen Rollen, die Sie gespielt
haben?«
»Das, was so dazugehört. Etwas singen und tanzen.«
Er blickte sie zweifelnd an. Sie sah nicht so aus. Sie
hatte etwas Fahles, Verwischtes, und sie war nicht attraktiv. Sie sah nicht
einmal aus wie eine Schauspielerin. Das war ohnehin ein weites Wort.
»So etwas können Sie ja leichter hier versuchen«, sagte
er. »Dazu brauchen Sie nicht perfekt zu sprechen.«
»Nein. Aber ich muß erst etwas finden. Das ist schwer,
wenn man niemand kennt.«
Morosow, dachte Ravic plötzlich. Die Scheherazade.
Natürlich. Morosow mußte von solchen Sachen etwas wissen. Der Gedanke belebte
ihn. Morosow hatte ihn in diesen trüben Abend hineingebracht – jetzt konnte er
die Frau an ihn weiterschieben, und Boris sollte einmal zeigen, was er konnte.
»Können Sie Russisch?« fragte er.
»Etwas. Ein paar Lieder. Zigeunerlieder. Sie sind so
ähnlich wie rumänische. Warum?«
»Ich kenne jemand, der von diesen Dingen etwas versteht.
Vielleicht kann er Ihnen helfen. Ich werde Ihnen seine Adresse geben.«
»Ich fürchte, es hat nicht viel Zweck. Agenten sind
überall gleich. Empfehlungen nützen da wenig.«
Ravic merkte, daß sie annahm, er wolle sie auf bequeme
Art loswerden. Da es stimmte, protestierte er. »Der Mann, den ich meine, ist
kein Agent. Er ist Portier in der Scheherazade. Das ist ein russischer
Nachtklub in Montmartre.«
»Portier?« Joan Madou hob den Kopf. »Das ist etwas
anderes. Portiers wissen mehr als Agenten. Das kann etwas sein. Kennen Sie ihn
gut?«
»Ja.«
Ravic war überrascht. Sie hatte auf einmal ganz
geschäftsmäßig gesprochen. Das geht ja schnell, dachte er. »Es ist ein Freund
von mir. Er heißt Boris Morosow«, sagte er. »Er ist seit zehn Jahren in der
Scheherazade. Sie haben da immer eine ziemlich große Show. Die Nummern wechseln
oft. Morosow ist mit dem Manager befreundet. Wenn in der Scheherazade nichts
für Sie frei ist, weiß er sicher etwas anderes – irgendwo. Wollen Sie es
versuchen?«
»Ja. Wann?«
»Am besten so um neun Uhr abends. Dann ist noch nichts zu
tun, und er hat Zeit für Sie. Ich werde ihm Bescheid sagen.« Ravic freute sich
bereits auf das Gesicht Morosows. Er fühlte sich plötzlich besser. Die leichte
Verantwortung, die er immer noch gespürt hatte, war verschwunden. Er hatte
getan, was er konnte, und nun mußte sie weitersehen. »Sind Sie müde?« fragte
er.
Joan Madou blickte ihm gerade in die Augen. »Ich bin
nicht müde«, sagte sie. »Aber ich weiß, daß es kein Vergnügen ist, mit mir hier
zu sitzen. Sie haben Mitleid mit mir gehabt, und ich danke Ihnen dafür. Sie
haben mich aus dem Zimmer genommen und mit mir gesprochen. Das war viel für
mich, denn ich habe seit Tagen kaum mit jemand ein Wort gewechselt. Ich werde
jetzt gehen. Sie haben mehr als genug für mich getan. All die Zeit schon. Was
wäre sonst aus mir geworden!«
Mein Gott, dachte
Ravic, jetzt fängt sie auch noch damit an! Er sah unbehaglich auf die Glaswand
vor sich. Eine Taube versuchte dort, einen Kakadu zu vergewaltigen. Der Kakadu
war so gelangweilt, daß er sie nicht einmal abschüttelte. Er fraß einfach
weiter und ignorierte sie.
»Es war kein Mitleid«, sagte Ravic.
»Was sonst?«
Die Taube gab auf. Sie hüpfte von dem breiten Rücken des
Kakadus herunter und begann ihre Federn zu putzen. Der Kakadu lüftete
gleichgültig seinen Schwanz und schiß.
»Wir werden jetzt einen guten, alten Armagnac trinken«,
sagte Ravic. »Das ist die beste Antwort. Glauben Sie mir: Ich bin kein so
besonderer Menschenfreund. Es gibt viele Abende, wo ich allein irgendwo
herumsitze. Halten Sie das für besonders interessant?«
»Nein, aber ich bin ein schlechter Partner, und das ist
schlimmer.«
»Ich habe verlernt, nach Partnern zu suchen. Hier ist Ihr
Armagnac.
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