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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
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Puls?«
    »Fünf­und­neun­zig.«
    »Blut­druck?«
    »Hun­dert­fünf­zehn.«
    »Gut. Ich glau­be, Ve­ber, wir brau­chen jetzt nicht mehr
nach­zu­den­ken, ob wir oh­ne Zu­stim­mung ope­rie­ren sol­len oder nicht. Hier ist
nichts mehr zu tun.«
    Ve­ber nick­te.
    »Zunä­hen«, sag­te Ra­vic. »Das Kind weg­neh­men, das ist
al­les. Zunä­hen und nichts sa­gen.«
    Er stand einen Mo­ment und sah auf den of­fe­nen Kör­per
un­ter den wei­ßen Tü­chern. Das grel­le Licht mach­te die Tü­cher noch wei­ßer, wie
fri­scher Schnee, un­ter dem der ro­te Kra­ter der klaf­fen­den Wun­de gähn­te. Ka­te
Hegström, vierund­drei­ßig Jah­re alt, ka­pri­zi­ös, schmal, braun, trai­niert, voll
von Wil­len zum Le­ben – zum To­de ver­ur­teilt durch den neb­lig un­sicht­ba­ren Griff,
der ih­re Zel­len zer­stört hat­te.
    Er beug­te sich wie­der über den Kör­per. »Wir müs­sen ja
noch ...«
    Das Kind. In die­sem zer­fal­le­nen Kör­per wuchs ja noch
blind ein tap­pen­des Le­ben her­an. Ver­ur­teilt mit ihm. Noch fres­send, sau­gend,
gie­rig, nichts als Trieb zum Wach­sen, ir­gend et­was, das ein­mal spie­len woll­te
in Gär­ten, das ir­gend et­was wer­den woll­te, In­ge­nieur, Pries­ter, Sol­dat, Mör­der,
Mensch, et­was, das le­ben, lei­den, glück­lich sein woll­te und zer­bre­chen …
vor­sich­tig ging das In­stru­ment die un­sicht­ba­re Wand ent­lang – fand den
Wi­der­stand, brach ihn be­hut­sam, brach­te ihn her­aus – vor­bei. Vor­bei mit all dem
un­be­wuß­ten Krei­sen, vor­bei mit dem un­ge­leb­ten Atem, Ju­bel, Kla­ge, Wach­sen,
Wer­den. Nichts mehr als et­was to­tes, blei­ches Fleisch und et­was ge­rin­nen­des
Blut.
    »Schon Nach­richt von Bois­son?«
    »Noch nicht. Muß bald kom­men.«
    »Wir kön­nen noch ein paar Mi­nu­ten war­ten.«
    Ra­vic trat zu­rück. »Puls?«
    Er sah hin­ter dem Bü­gel Ka­te Hegströms Au­gen. Sie blick­te
ihn an – nicht starr, son­dern als ob sie ihn sä­he und al­les wüß­te. Einen
Au­gen­blick glaub­te er, sie sei er­wacht. Er mach­te einen Schritt und stopp­te
dann. Un­mög­lich! Es war ein Zu­fall; das Licht. »Wie ist der Puls?«
    »Hun­dert. Blut­druck hun­dertzwölf. Fällt.«
    »Es wird Zeit«, sag­te Ra­vic. »Bois­son könn­te jetzt fer­tig
sein.«
    Das Te­le­fon klin­gel­te ge­dämpft von un­ten. Ve­ber blick­te
zur Tür. Ra­vic sah nicht hin. Er war­te­te. Er hör­te die Tür. Die Schwes­ter kam
her­ein. »Ja«, sag­te Ve­ber.
    »Krebs.«
    Ra­vic nick­te und
be­gann wei­ter­zu­ar­bei­ten. Er lös­te die Zan­gen, die Klam­mern. Er hob den
Re­trak­tor her­aus; die Hand­tü­cher. Ne­ben ihm zähl­te Eu­ge­nie die In­stru­men­te.
    Er be­gann zu nä­hen.
Fein, me­tho­disch, ge­nau, völ­lig kon­zen­triert und oh­ne je­den Ge­dan­ken. Das Grab
schloß sich, die Häu­te leg­ten sich an­ein­an­der, bis zur letz­ten, äu­ße­ren; er
klam­mer­te sie ab und rich­te­te sich auf. »Fer­tig.«
    Eu­ge­nie kur­bel­te mit
dem Fuß den Tisch wie­der ho­ri­zon­tal und deck­te Ka­te Hegström zu. Sche­herazade,
dach­te Ra­vic, vor­ges­tern, ein Kleid von Main­bo­cher, wa­ren Sie ein­mal glück­lich,
oft, ich ha­be Angst, ei­ne Rou­ti­ne­sa­che; die Zi­geu­ner spie­len. – Er sah auf die
Uhr über der Tür. Zwölf. Mit­tag. Drau­ßen öff­ne­ten sich jetzt die Bü­ros und
Fa­bri­ken, und ge­sun­de Leu­te ström­ten her­aus. Die bei­den Schwes­tern scho­ben den
fla­chen Wa­gen aus dem Ope­ra­ti­ons­saal her­aus. Ra­vic riß die Gum­mi­hand­schu­he von
den Hän­den, ging in den Wasch­raum und be­gann sich zu wa­schen.
    »Ih­re Zi­ga­ret­te«, sag­te Ve­ber, der sich ne­ben ihm an dem
zwei­ten Be­cken wusch. »Sie ver­bren­nen sich die Lip­pen.«
    »Ja. Dan­ke. Wer wird es ihr nur sa­gen, Ve­ber?«
    »Sie«, er­klär­te Ve­ber oh­ne Zö­gern.
    »Wir müs­sen ihr er­klä­ren, wes­halb wir ge­schnit­ten ha­ben.
Sie hat­te er­war­tet, wir wür­den es von in­nen ma­chen. Wir kön­nen ihr nicht sa­gen,
was es wirk­lich war.«
    »Es wird Ih­nen schon et­was ein­fal­len«, sag­te Ve­ber
zu­ver­sicht­lich.
    »Mei­nen Sie?«
    »Na­tür­lich. Sie ha­ben ja bis heu­te abend Zeit.«
    »Und Sie?«
    »Mir wür­de sie nichts glau­ben. Sie weiß, daß Sie

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