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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
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Ra­vic?«
    »Oft.«
    »Das mei­ne ich nicht. Ich mei­ne rich­tig glück­lich.
Atem­los, be­sin­nungs­los, mit al­lem, was Sie ha­ben.«
    Ra­vic sah in das be­weg­te, schma­le Ge­sicht vor ihm, das
nur ei­ne Deu­tung für Glück kann­te, die schwan­kends­te von al­len: Lie­be, und
kei­ne von den an­de­ren. »Oft, Ka­te«, sag­te er und mein­te et­was ganz an­de­res und
wuß­te, auch das war es nicht.
    »Sie wol­len mich nicht ver­ste­hen. Oder nicht dar­über
spre­chen. Wer singt da jetzt mit dem Or­che­s­ter?«
    »Ich weiß es nicht. Ich war lan­ge nicht hier.«
    »Man kann die Frau von
hier nicht se­hen. Sie ist nicht mit den Zi­geu­nern. Sie muß ir­gend­wo an ei­nem
Tisch sit­zen.«
    »Dann ist es wahr­schein­lich ein Gast. Das pas­siert hier
oft.«
    »Ei­ne son­der­ba­re Stim­me«, sag­te Ka­te Hegström. »Trau­rig
und re­bel­lisch in ei­nem.«
    »Das sind die Lie­der.«
    »Oder ich bin es. Ver­ste­hen Sie, was sie singt?«
    »Ja wass lou­bill« – »ich ha­be dich ge­liebt. Ein Lied von
Pusch­kin.«
    »Kön­nen Sie Rus­sisch?«
    »Nur so viel, wie Mo­ro­sow mir bei­ge­bracht hat. Meis­tens
Flü­che. Rus­sisch ist ei­ne her­vor­ra­gen­de Spra­che für Flü­che.«
    »Sie spre­chen nicht gern über sich, wie?«
    »Ich den­ke nicht ein­mal gern über mich nach.«
    Sie saß ei­ne Wei­le. »Manch­mal glau­be ich, das al­te Le­ben
ist vor­bei«, sag­te sie dann. »Die Sorg­lo­sig­keit, die Er­war­tung – all das von
frü­her.«
    Ra­vic lä­chel­te. »Es ist nie vor­bei, Ka­te. Le­ben ist ei­ne
viel zu große Sa­che, als daß es vor­bei sein könn­te, be­vor wir auf­hö­ren zu at­men.«
    Sie hör­te nicht auf das, was er sag­te. »Es ist ei­ne Angst
oft«, sag­te sie. »Ei­ne plötz­li­che, un­er­klär­li­che Angst. So, als ob, wenn wir
hier her­aus­kom­men, die Welt drau­ßen auf ein­mal zu­sam­men­ge­bro­chen sein könn­te.
Ken­nen Sie das auch?«
    »Ja, Ka­te. Je­der kennt das. Es ist ei­ne eu­ro­päi­sche
Krank­heit. Seit zwan­zig Jah­ren.«
    Sie schwieg. »Das ist aber nicht mehr rus­sisch«, sag­te
sie dann und horch­te zu der Mu­sik hin­über.
    »Nein. Das ist ita­lie­nisch. San­ta Lu­cia Lun­ta­na.«
    Der Schein­wer­fer wan­der­te vom Gei­ger zu ei­nem Tisch ne­ben
dem Or­che­s­ter hin­über. Ra­vic sah die Frau jetzt, die sang. Es war Jo­an Ma­dou.
Sie saß al­lein an dem Tisch, einen Arm auf­ge­stützt, und blick­te vor sich hin,
als wä­re sie in Ge­dan­ken und au­ßer ihr nie­mand da. Ihr Ge­sicht war sehr bleich
in dem wei­ßen Licht. Es hat­te nichts mehr von dem fla­chen, ver­wisch­ten
Aus­druck, den er kann­te. Es war plötz­lich von ei­ner auf­re­gen­den, ver­lo­re­nen
Schön­heit, und er er­in­ner­te sich, es ein­mal flüch­tig so ge­se­hen zu ha­ben –
nachts in ih­rem Zim­mer –, aber da­mals hat­te er ge­glaubt, es sei der sanf­te
Be­trug der Trun­ken­heit ge­we­sen, und es war gleich dar­auf er­lo­schen und
ver­schwun­den. Jetzt war es ganz da, und es war noch mehr da.
    »Was ist los, Ra­vic?« frag­te Ka­te Hegström.
    Er wand­te sich um. »Nichts. Ich ken­ne nur das Lied. Ein
nea­po­li­ta­ni­scher Schmacht­fet­zen.«
    »Er­in­ne­run­gen.«
    »Nein. Ich ha­be kei­ne Er­in­ne­run­gen.«
    Er sag­te es hef­ti­ger, als er woll­te. Ka­te Hegström sah
ihn an. »Manch­mal woll­te ich wirk­lich, ich wüß­te, was mit Ih­nen los ist,
Ra­vic.«
    Er mach­te ei­ne ab­weh­ren­de Be­we­gung. »Nicht mehr als mit
je­dem an­de­ren. Die Welt ist heu­te voll von Aben­teu­rern wi­der Wil­len. In je­dem
Re­fu­gié-Ho­tel sit­zen sie. Und je­der hat ei­ne Ge­schich­te, die für Alex­an­der
Du­mas und Vic­tor Hu­go ei­ne Sen­sa­ti­on ge­we­sen wä­re; jetzt gähnt man schon, be­vor
er an­fängt, sie zu er­zäh­len. Hier ist ein neu­er Wod­ka für Sie, Ka­te. Das große
Aben­teu­er heu­te ist ein kla­res, ru­hi­ges Le­ben.«
    Das Or­che­s­ter be­gann einen Blues zu spie­len. Es spiel­te
Tanz­mu­sik ziem­lich schlecht. Ein paar Gäs­te rin­gen an zu tan­zen. Jo­an Ma­dou
stand auf und ging dem Aus­gang zu. Sie ging, als wä­re das Lo­kal leer. Ra­vic
fiel plötz­lich ein, was Mo­ro­sow über sie ge­sagt hat­te. Sie kam ziem­lich na­he an
sei­nem Tisch vor­bei. Es schi­en ihm, als

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