E.M. Remarque
sonst nichts zu tun?«
»Doch. Genug. Hören Sie. Das Mädchen hat Ihnen
dreihundert Frank gezahlt. Es kann Sie verklagen auf Schadenersatz ...«
Die Tür öffnete sich. Der schwärzliche Mann trat ein.
»Irgend etwas los, Adele?«
»Nein. Schadenersatz klagen? Wenn sie klagt, wird sie
selbst verurteilt. Zuerst sie einmal, das ist sicher, denn sie gibt zu, daß ein
Eingriff gemacht worden ist. Daß ich es war, muß sie dann noch beweisen. Das
kann sie nicht.«
Der schwärzliche Mann meckerte. »Ruhig, Roger«, sagte
Madame Boucher. »Du kannst gehen.«
»Brunier ist draußen.«
»Gut. Sag ihm, er soll warten. Du weißt ja ...«
Der Mann nickte und verschwand. Mit ihm verschwand ein
intensiver Kognakgeruch. Ravic schnupperte. »Das ist alter Kognak«, sagte er.
»Mindestens dreißig, vierzig Jahre alt. Glücklicher Mensch, der so etwas schon
am Nachmittag trinkt.«
Die Boucher starrte ihn einen Augenblick konsterniert an.
Dann verzog sie langsam die Lippen. »Stimmt. Wollen Sie einen?«
»Warum nicht?«
Sie war trotz ihrer Dicke überraschend schnell und
lautlos an der Tür. »Roger!«
Der schwärzliche Mann erschien. »Du bist wieder an dem
guten Kognak gewesen! Lüg nicht, ich rieche es! Bring die Flasche! Rede nicht,
bring die Flasche!«
Roger brachte eine Flasche. »Ich habe Brunier einen
gegeben. Er zwang mich, einen mitzutrinken.«
Die Boucher antwortete nicht. Sie schloß die Tür und
holte aus dem Nußbaumvertiko ein geschweiftes Glas. Ravic betrachtete es mit
Abscheu. Es hatte einen Frauenkopf eingraviert. Die Boucher schenkte ein und
stellte das Glas vor ihn auf die Tischdecke, die mit Pfauen verziert war. »Sie
scheinen ein vernünftiger Mensch zu sein, mein Herr«, sagte sie.
Ravic konnte ihr eine gewisse Achtung nicht versagen. Sie
war nicht aus Eisen, wie Lucienne ihm erzählt hatte; sie war schlimmer – aus
Gummi. Eisen konnte man brechen, Gummi nicht.
Der Einwand gegen die Schadenersatzforderung war richtig.
»Ihre Operation ist mißglückt«, sagte er. »Sie hatte schlimme Folgen. Das
sollte Grund genug für Sie sein, das Geld zurückzugeben.«
»Zahlen Sie Geld zurück, wenn ein Patient nach der
Operation stirbt?«
»Nein. Aber wir nehmen manchmal kein Geld für eine
Operation. Zum Beispiel von Lucienne.«
Die Boucher sah ihn an. »Na also – wozu macht sie dann
noch Geschichten? Kann doch froh sein!«
Ravic hob das Glas. »Madame«, sagte er. »Meine
Hochachtung. Sie sind nicht kleinzukriegen.«
Die Frau stellte langsam die Flasche auf den Tisch. »Mein
Herr, das haben schon viele versucht. Aber Sie scheinen vernünftiger zu sein.
Meinen Sie, das Geschäft ist ein Spaß oder alles Verdienst? Von den dreihundert
Frank gehen fast hundert weg an die Polizei. Glauben Sie, ich könnte sonst
arbeiten? Da draußen sitzt schon wieder einer, um Geld zu holen. Schmieren muß
man, immer schmieren. Sonst geht es nicht. Ich sage Ihnen das hier allein,
zwischen uns, und sollten Sie etwas damit anfangen wollen, würde ich es
abstreiten, und die Polizei würde die Sache versacken lassen. Sie können das
glauben.«
»Ich glaube es.«
Die Boucher warf ihm einen schnellen Blick zu. Als sie
sah, daß er es nicht ironisch meinte, rückte sie einen Stuhl heran und setzte
sich. Sie rückte den Stuhl heran wie eine Feder; unter ihrem Fett schien sie
enorme Kraft zu haben. Sie goß sein Glas mit dem Bestechungskognak noch einmal
voll. »Dreihundert Frank sieht nach viel Geld aus – aber es geht noch mehr
davon ab als nur die Polizei. Die Miete – hier natürlich viel höher als anderswo,
Wäsche, Apparate – für mich doppelt so teuer wie für Ärzte, Provisionen,
Bestechungen – gut stehen muß man mit allen, Getränke, Geschenke zu Neujahr und
zu den Geburtstagen für die Beamten und ihre Frauen – allerhand, mein Herr!
Manchmal bleibt
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