E.M. Remarque
kaum etwas.«
»Dagegen ist nichts zu sagen.«
»Wogegen denn?«
»Daß so etwas passiert, wie mit Lucienne.«
»Passiert das bei
Ärzten nie?« fragte die Boucher rasch.
»Längst nicht so oft.«
»Mein Herr!« Sie richtete sich auf. »Ich bin ehrlich. Ich
sage jeder, die kommt, daß etwas passieren kann dabei. Und keine geht zurück.
Sie flehen mich an, es zu machen. Sie jammern und sind verzweifelt. Sie wollen
Selbstmord begehen, wenn ich ihnen nicht helfe. Was für Szenen sich hier schon
abgespielt haben. Auf dem Teppich haben sie sich gewälzt und mich angefleht!
Sehen Sie dort das Vertiko, die Ecke, wo die Politur abgeschlagen ist? Eine
wohlhabende Dame hat das in ihrer Verzweiflung getan. Ich habe ihr geholfen.
Wollen Sie etwas anderes sehen? In der Küche stehen zehn Pfund Pflaumenmarmelade,
die sie gestern geschickt hat. Aus reiner Dankbarkeit, obschon sie bezahlt hat.
Ich will Ihnen etwas sagen, mein Herr …« die Stimme der Boucher hob sich und
wurde voller –, »Sie mögen mich eine Abtreiberin nennen – andere nennen mich
ihren Wohltäter und Engel.«
Sie war aufgestanden. Ihr Kimono umfaltete sie
majestätisch. Der Kanarienvogel im Käfig fing wie auf Kommando an zu singen.
Ravic erhob sich. Er hatte Sinn für Melodramatik. Aber er wußte auch, daß die
Boucher nicht übertrieb. »Schön«, sagte er. »Ich gehe jetzt. Für Lucienne waren
Sie gerade kein Wohltäter.«
»Sie hätten sie sehen sollen, vorher! Was will sie denn
mehr? Sie ist gesund – das Kind ist weg – das ist doch alles, was sie wollte.
Und die Klinik braucht sie nicht zu bezahlen.«
»Sie kann nie wieder ein Kind bekommen.«
Die Boucher stutzte eine Sekunde. »Um so besser«,
erklärte sie dann ungerührt. »Da wird sie selig sein, die kleine Hure.«
Ravic sah, daß nichts zu machen war. »Au revoir, Madame
Boucher«, sagte er. »Es war interessant bei Ihnen.«
Sie kam dicht an ihn heran. Ravic hätte gern vermieden,
ihr die Hand zu gehen. Aber sie dachte gar nicht daran. Sie dämpfte vertraulich
ihre Stimme. »Sie sind vernünftig, mein Herr. Vernünftiger als die meisten
Ärzte. Schade, daß Sie …« sie stockte und sah ihn aufmunternd an. »Manchmal
braucht man für gewisse Fälle … ein verständiger Arzt würde eine große Hilfe
sein können ...«
Ravic widersprach nicht. Er wollte mehr hören. »Es würde
Ihr Schaden nicht sein«, fügte die Boucher hinzu. »Gerade in speziellen
Fällen.« Sie beobachtete ihn wie eine Katze, die vorgibt, Vögel zu lieben.
»Wohlhabende Klienten sind darunter, manchmal… Zahlung natürlich nur im voraus,
und … wir sind sicher, todsicher mit der Polizei … ich nehme an, daß Sie ganz gut
einige hundert Frank Nebenverdienst brauchen könnten …« sie klopfte ihm auf die
Schulter – »ein gutaussehender Mann wie Sie ...«
Sie ergriff mit einem breiten Lächeln die Flasche. »Nun,
was meinen Sie?«
»Danke«, sagte Ravic und hielt die Flasche zurück. »Keinen
mehr. Ich vertrage nicht viel.« Es fiel ihm schwer, denn der Kognak war
hervorragend. Die Flasche hatte kein Fabriketikett und stammte bestimmt aus
einem erstklassigen Privatkeller. »Die andere Sache werde ich mir überlegen.
Ich komme nächstens einmal wieder. Ich würde ganz gern einmal Ihre Instrumente
sehen. Vielleicht kann ich Ihnen da einen Rat geben.«
»Meine Instrumente zeige ich Ihnen, wenn Sie
wiederkommen. Sie zeigen mir dann Ihre Papiere. Ein Vertrauen um das andere.«
»Sie haben mir schon ein gewisses Vertrauen gezeigt.«
»Nicht das mindeste«, lächelte die Boucher. »Ich habe
Ihnen nur einen Vorschlag gemacht, den ich jederzeit abstreiten kann. Sie sind
kein Franzose, das hört man, obschon Sie gut sprechen. Sie sehen auch nicht so
aus. Sie sind wahrscheinlich ein
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