E.M. Remarque
ein. Der Sekt schäumt, Willys Haar
leuchtet, und sein Gesicht strahlt. Er starrt auf Schimmel, unseren Direktor,
und Schimmel starrt wie hypnotisiert zurück.
«Es
funktioniert», flüstert Willy. «Ich dachte schon, er würde uns ignorieren.»
«Er
ist ein leidenschaftlicher Schulmann», antworte ich.
«Er
kann uns nicht ignorieren. Für ihn bleiben wir Schüler, auch wenn wir sechzig
sind. Sieh nur, wie seine Nase arbeitet!»
«Benehmt
euch nicht wie Zwölfjährige», sagt Renée.
«Warum
nicht?» fragt Willy. «Älter werden können wir immer noch.»
Renée
hebt resigniert die Hände mit dem Amethystring.
«Und
so was hat das Vaterland verteidigt!»
«Hat
geglaubt, das Vaterland zu verteidigen», sage ich. «Bis es herausfand, daß es
nur den Teil des Vaterlandes verteidigte, der gern zum Teufel gehen konnte –
darunter den nationalistischen Schweinskopf da drüben.»
Renée
lacht. «Ihr habt das Land der Dichter und Denker verteidigt, vergeßt das
nicht.»
«Das
Land der Dichter und Denker braucht nie verteidigt zu werden – höchstens gegen
den Schweinskopf drüben und seinesgleichen, die Dichter und Denker ins
Gefängnis sperren, solange sie leben, und mit ihnen, wenn sie tot sind, Reklame
für sich machen.»
Gerda
reckt den Kopf. «Heute wird scharf geschossen, was?»
Sie
stößt mich wieder unter dem Tisch an. Ich klettere vom Rednerpult herunter und
sitze sofort aufs neue in der Schaukel, die über die Erde hinwegfliegt. Der
Speisesaal ist ein Teil des Kosmos, und selbst Eduard, der den Sekt säuft wie
Wasser, um die Zeche zu erhöhen, hat einen staubigen Heiligenschein um seinen
Kopf.
«Kommst
du nachher mit?» flüstert Gerda.
Ich
nicke.
«Er
kommt!» wispert Willy entzückt. «Ich wußte es!»
Das
Warzenschwein hat es nicht ausgehalten. Es hat sich hochgewuchtet und nähert
sich zwinkernd unserem Tisch. «Hohmeyer, nicht wahr?» sagt es.
Willy
sitzt jetzt. Er steht nicht auf. «Bitte?» fragt er.
Schimmel
ist bereits irritiert. «Sie sind doch der frühere Schüler Hohmeyer!»
Willy
stellt die Flasche vorsichtig hin. «Verzeihen Sie, Baronin», sagt er zu Renée.
«Ich glaube, der Mann dort meint mich.» Er wendet sich zu Schimmel. «Womit kann
ich Ihnen dienen? Was möchten Sie, mein guter Mann?» Schimmel ist einen
Augenblick perplex. Er hat wohl selbst nicht genau gewußt, was er sagen wollte.
Schlichte, überquellende Empörung hat den biederen Schulfuchs an unseren Tisch
geschwemmt.
«Ein
Glas Champagner?» fragte Willy zuvorkommend. «Auch mal kosten, wie die andere
Hälfte lebt?»
«Was
fällt Ihnen ein? Ich bin kein Wüstling!»
«Schade»,
erklärt Willy. «Aber was wollen Sie wirklich hier? Sie stören, sehen Sie das
nicht?»
Schimmel
schießt einen Wutblick auf ihn ab. «Ist es absolut nötig», krächzt er, «daß
ehemalige Schüler meines Gymnasiums am hellichten Tage Orgien feiern?»
«Orgien?»
Willy sieht ihn erstaunt an. «Entschuldigen Sie nochmals, Baronin», sagt er
dann zu Renée. «Dieser manierenlose Mann – ein Herr Schimmel übrigens, jetzt
erkenne ich ihn» – stellt er graziös vor – «die Baronin de la Tour» – Renée
neigt huldvoll das Lockenhaupt – «glaubt, wir feiern eine Orgie, weil wir an
Ihrem Geburtstag ein Glas Sekt trinken ...»
Schimmel
ist, soweit es bei ihm möglich ist, etwas verwirrt. «Geburtstag?» knarrt er.
«Nun ja – immerhin, dies ist eine kleine Stadt – als ehemalige Schüler könnten
Sie ...»
Es
sieht aus, als wolle er uns eine widerwillige Absolution erteilen. Die Baronin
de la Tour hat auf den alten Kastenanbeter ihre Wirkung nicht verfehlt. Willy
greift eilig ein. «Als ehemaliger Schüler von Ihnen sollten wir schon morgens
einen Schnaps oder zwei zum Kaffee nehmen», erklärt er, «damit wir endlich
einmal wissen, was das Wort Freude bedeutet.
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