E.M. Remarque
Das stand nämlich nie in Ihrem
Lehrplan, Sie Jugendmörder! Sie alter Pflichtenbock haben uns unser Dasein so
versaut, daß wir glaubten, die Preußen wären eine Befreiung, Sie trostloser
Feldwebel des deutschen Aufsatzes! Nur durch Sie sind wir zu Wüstlingen
geworden! Sie allein tragen die Verantwortung für alles! Und nun schieben Sie
ab, Sie Unteroffizier der Langeweile!»
«Das
ist doch ...» Schimmel stottert. Er ist jetzt tomatenrot.
«Gehen
Sie nach Hause und nehmen Sie endlich einmal ein Bad, Sie Schweißfuß des
Lebens!»
Schimmel
ringt nach Atem. «Die Polizei!» würgt er hervor. «Flegelige Beleidigungen – ich
werde Ihnen schon ...»
«Sie
werden gar nichts», erklärt Willy. «Sie glauben immer noch, wir wären Ihre
Sklaven für Lebenszeit. Alles, was Sie tun werden, ist, die Verantwortung beim
Jüngsten Gericht dafür zu übernehmen, daß Sie zahllosen Generationen von jungen
Menschen einen Haß auf Gott und alles Gute und Schöne beigebracht haben! Ich
möchte bei der Auferstehung der Toten nicht in Ihren Knochen stecken, Schimmel!
Die Fußtritte, die Sie allein von unserer Klasse bekommen werden! Und dann
natürlich das Pech und Feuer der Hölle hinterher! Sie können das ja so gut
beschreiben!»
Schimmel
erstickt. «Sie werden von mir hören!» stößt er hervor und wendet wie eine
Korvette im Sturm.
«Schimmel!»
brüllt eine markige Kommandostimme hinter ihm her.
Renée
wirkt, wie immer. Schimmel wird herumgerissen vom trauten Kommandolaut. «Was?
Wie bitte? Wer –?» Seine Augen suchen die nächsten Tische ab. «Sind Sie
verwandt mit dem Selbstmörder Schimmel?» zwitschert Renée.
«Selbstmörder?
Was soll denn das? Wer hat mich gerufen?»
«Ihr
Gewissen, Schimmel», sage ich.
«Das
ist doch –!»
Ich
erwarte weißen Schaum auf Schimmels Lippen. Es ist ein Genuß, diesen Meister
unzähliger Anklagen endlich einmal sprachlos zu sehen. Willy trinkt ihm zu.
«Auf Ihr Wohl, Sie brave Kathederhyäne! Und gehen Sie nicht mehr zu fremden
Leuten an den Tisch, sie zu zensieren. Besonders nicht, wenn Damen dabei sind.»
Schimmel
entschwindet mit einem sonderbar klackenden Laut – als wäre nicht Champagner,
sondern ein Selterswasserverschluß in ihm geplatzt. «Ich wußte, daß er es nicht
lassen würde», sagt Willy selig.
«Du
warst erstklassig», sage ich. «Wieso kam der Geist so gewaltig über dich?»
Willy
grinst. «Diese Rede habe ich schon mindestens hundertmal gehalten! Leider immer
allein, ohne Schimmel. Deshalb weiß ich sie auswendig. Prost, Kinder!»
«Ich
kann nicht!» Eduard schüttelt sich. «Schweißfuß des Lebens! Das ist ein zu
grauenhaftes Bild! Der Sekt schmeckt plötzlich wie eingeschlafene Füße.»
«Das
tat er vorher auch schon», sage ich geistesgegenwärtig.
«Was
für Kinder ihr seid!» erklärt Renée kopfschüttelnd.
«Wir
wollen es bleiben. Altwerden ist einfach.» Willy grinst. «Eduard, die
Rechnung!»
Eduard
bringt die Rechnung. Eine für Willy, eine für uns.
Gerdas
Gesicht wird gespannt. Sie erwartet eine zweite Explosion heute. Georg und ich
ziehen schweigend unsere Marken heraus und legen sie auf den Tisch. Aber Eduard
explodiert nicht – er lächelt. «Macht nichts», sagt er. «Bei so einem
Weinkonsum!»
Wir
sitzen enttäuscht da. Die Damen erheben sich und schütteln sich leicht, wie
Hühner, die aus einer Sandgrube kommen. Willy klopft Eduard auf die Schulter.
«Sie
sind ein Kavalier! Andere Wirte hätten gejammert, daß wir ihnen einen Gast
vertrieben hätten.»
«Ich
nicht.» Eduard lächelt. «Der Rohrstockschwinger hat hier noch nie eine
anständige Zeche gemacht. Läßt sich nur einladen.»
«Komm»,
flüstert Gerda mir zu.
Das
tabakfarbene
Kleid liegt irgendwo. Die braunen Wildlederschuhe stehen unter dem
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