E.M. Remarque
ich noch lauter und
lache scheppernd.
Ich
kann ihm nicht gut erklären, daß ich hoffe, Georg mit meinem Geschrei zu wecken
und ihn darüber zu orientieren, was los ist. Soviel ich weiß, ist der
Schlächter Watzek gestern abend zu irgendeiner Tagung der Nationalsozialisten
gefahren, und Lisa hat die Gelegenheit benutzt, herüberzukommen, um einmal
durchzuschlafen im Arm ihres Geliebten. Riesenfeld sitzt, ohne daß er es weiß,
als Wächter vor der Tür zum Schlafzimmer. Lisa kann nur noch durchs Fenster
raus.
«Gut,
dann hole ich den Kaffee herunter», sage ich, laufe die Treppe hinauf, nehme
die «Kritik der reinen Vernunft», schlinge einen Bindfaden darum, lasse sie aus
meinem Fenster heraus und pendele damit vor Georgs Fenster. Inzwischen schreibe
ich mit Buntstift auf ein Blatt die Warnung: «Riesenfeld im Büro», mache ein
Loch in den Zettel und lasse ihn über den Bindfaden auf den Band Kant
hinunterflattern. Kant klopft ein paarmal, dann sehe ich von oben Georgs kahlen
Kopf. Er macht mir Zeichen. Wir vollführen eine kurze Pantomime. Ich mache ihm
mit den Händen klar, daß ich Riesenfeld nicht loswerden kann. Rauswerfen kann
ich ihn nicht; dazu ist er zu wichtig für unser tägliches Brot.
Ich
ziehe die «Kritik der reinen Vernunft» wieder hoch und lasse meine Flasche
Schnaps hinab. Ein schöner, gerundeter Arm greift danach, bevor Georg sie
fassen kann, und zieht sie hinein. Wer weiß, wann Riesenfeld verschwindet? Die
Liebenden sind inzwischen dem scharfen Morgenhunger nach durchwachter Nacht
ausgesetzt. Ich lasse deshalb meine Butter, mein Brot und ein Stück Leberwurst
hinunter. Der Bindfaden kommt, mit Lippenstift rot am Ende verschmiert, wieder
hoch. Ich höre den seufzenden Laut, mit dem der Kork die Flasche freigibt.
Romeo und Julia sind für den Augenblick gerettet.
Als ich Riesenfeld
seinen Kaffee präsentiere, sehe ich Heinrich Kroll über den Hof kommen. Der
nationale Geschäftsmann hat neben seinen übrigen verwerflichen Eigenschaften
auch noch die, früh aufzustehen. Er nennt das: die Brust Gottes freier Natur
darzubieten. Unter «Gott» versteht er selbstverständlich nicht ein gütiges
Fabelwesen mit einem langen Bart, sondern einen preußischen Feldmarschall.
Bieder
schüttelt er Riesenfeld die Hand. Riesenfeld ist nicht übermäßig erfreut.
«Lassen Sie sich durch mich von nichts abhalten», erklärt er. «Ich trinke hier
nur meinen Kaffee und döse dann ein bißchen, bis es Zeit für mich wird.»
«Aber
das wäre doch! Ein so seltener und lieber Gast!» Heinrich wendet sich mir zu.
«Haben wir denn keine frischen Brötchen für Herrn Riesenfeld?»
«Da
müssen Sie die Witwe des Bäckers Niebuhr oder Ihre Mutter fragen», erwidere
ich. «Anscheinend wird in der Republik sonntags nicht gebacken. Eine unerhörte
Schlamperei! Im kaiserlichen Deutschland war das anders.»
Heinrich
schießt mir einen bösen Blick zu. «Wo ist Georg?» fragt er kurz.
«Ich
bin nicht der Hüter Ihres Bruders, Herr Kroll», antworte ich bibelfest und
laut, um Georg über die neue Gefahr zu informieren.
«Nein,
aber Sie sind Angestellter meiner Firma! Ich ersuche Sie, entsprechend zu
antworten.»
«Es
ist Sonntag. Sonntags bin ich kein Angestellter. Ich bin heute nur freiwillig,
aus überschäumender Liebe zu meinem Beruf und aus freundschaftlicher Verehrung
für den Beherrscher des Odenwälder Granits, so früh heruntergekommen.
Unrasiert, wie Sie vielleicht bemerken, Herr Kroll.»
«Da
sehen Sie es», sagt Heinrich bitter zu Riesenfeld. «Dadurch haben wir den Krieg
verloren. Durch die Schlamperei der Intellektuellen und durch die Juden.»
«Und
die Radfahrer», ergänzt Riesenfeld.
«Wieso
die Radfahrer?» fragt Heinrich erstaunt.
«Wieso
die Juden?»
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