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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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einen Schnurr­bart. Je­mand muß je­den Tag auf ihn
acht­ge­ben – er ist ra­siert, das Haar ist ge­schnit­ten und der Schnurr­bart
ge­stutzt. Der klei­ne Wa­gen, der ei­gent­lich nur ein Brett mit Rol­len ist, wird
von ei­nem Ein­ar­mi­gen ge­zo­gen. Der Am­pu­tier­te sitzt sehr ge­ra­de und auf­merk­sam dar­auf.
Ihm fol­gen die Wa­gen mit den Bein­am­pu­tier­ten; je drei ne­ben­ein­an­der. Es sind
Wa­gen mit großen Gum­mi­rä­dern, die mit den Hän­den vor­wärts­be­wegt wer­den. Die
Le­der­schür­zen, die die Stel­len zu­de­cken, wo Bei­ne sein müß­ten, und die
ge­wöhn­lich ge­schlos­sen sind, sind heu­te of­fen. Man sieht die Stümp­fe. Die Ho­sen
sind sorg­fäl­tig dar­um­ge­fal­tet.
    Als
nächs­te kom­men Am­pu­tier­te mit Krücken. Es sind die son­der­bar schie­fen
Sil­hou­et­ten, die man so oft ge­se­hen hat – die ge­ra­den Krücken und da­zwi­schen
der et­was schräg­hän­gen­de Kör­per. Dann fol­gen Blin­de und Ein­äu­gi­ge. Man hört die
wei­ßen Stä­be auf das Pflas­ter tap­pen und sieht an den Ar­men die gel­ben Bin­den
mit den drei Punk­ten. Die Au­gen­lo­sen sind da­durch so be­zeich­net, wie man die
ge­schlos­se­nen Ein­fahr­ten von Ein­bahn­stra­ßen oder Sack­gas­sen mar­kiert – mit den
drei schwar­zen run­den Bäl­len des ver­bo­te­nen Ver­kehrs. Vie­le der Ver­letz­ten
tra­gen Schil­der mit Auf­schrif­ten. Auch die Blin­den tra­gen wel­che, wenn sie sie
auch nie mehr le­sen kön­nen. «Ist das der Dank des Va­ter­lan­des?» steht auf
ei­nem. «Wir ver­hun­gern», auf ei­nem an­de­ren.
    Dem
Mann auf dem klei­nen Wa­gen hat man einen Stock mit ei­nem Zet­tel vorn in sei­ne
Ja­cke ge­steckt. Dar­auf steht: «Mei­ne Mo­nats­ren­te ist ei­ne Gold­mark wert.»
Zwi­schen zwei an­de­ren Wa­gen flat­tert ei­ne wei­ße Fah­ne: «Un­se­re Kin­der ha­ben
kei­ne Milch, kein Fleisch, kei­ne But­ter. Ha­ben wir da­für ge­kämpft?»
    Es
sind die trau­rigs­ten Op­fer der In­fla­ti­on. Ih­re Ren­ten sind so ent­wer­tet, daß
sie kaum noch et­was da­mit an­fan­gen kön­nen. Ab und zu wer­den ih­re Be­zü­ge von der
Re­gie­rung er­höht – viel zu spät, denn am Ta­ge der Er­hö­hung sind sie schon
wie­der um ein Viel­fa­ches zu nied­rig. Der Dol­lar ist zu wild ge­wor­den; er
springt jetzt nicht mehr um Tau­sen­de und Zehn­tau­sen­de, son­dern um
Hun­dert­tau­sen­de täg­lich. Vor­ges­tern stand er auf ei­ner Mil­li­on
zwei­hun­dert­tau­send – ges­tern auf ei­ner Mil­li­on vier­hun­dert­tau­send. Mor­gen
er­war­tet man ihn auf zwei Mil­lio­nen – und am En­de des Mo­nats auf zehn. Die
Ar­bei­ter be­kom­men jetzt zwei­mal am Ta­ge Geld – mor­gens und nach­mit­tags –, und
je­des­mal ei­ne hal­be Stun­de Pau­se, da­mit sie los­ren­nen und ein­kau­fen kön­nen;
denn wenn sie bis nach­mit­tags da­mit war­ten, ha­ben sie schon so­viel ver­lo­ren,
daß ih­re Kin­der nicht halb mehr satt wer­den. Satt – nicht gut ge­nährt. Satt mit
al­lem, was man in den Ma­gen stop­fen kann – nicht mit dem, was der Kör­per
braucht.
    Der
Zug ist viel lang­sa­mer als al­le an­de­ren De­mons­tra­ti­ons­zü­ge. Hin­ter ihm stau­en
sich die Au­tos der Sonn­tags­aus­flüg­ler. Es ist ein son­der­ba­rer Kon­trast – die
graue, fast an­ony­me Mas­se der schwei­gend sich da­hin­schlep­pen­den Kriegs­op­fer,
und da­hin­ter die zu­rück­ge­stau­ten Au­tos der Kriegs­ge­winn­ler, mur­rend, fau­chend,
un­ge­dul­dig, dicht auf den Fer­sen der Krie­ger­wit­wen, die mit ih­ren Kin­dern den
Schluß des Zu­ges bil­den, dünn, ver­hun­gert, ver­härmt und ängst­lich. In den Au­tos
pran­gen die Far­ben des Som­mers, Lei­nen, Sei­de, vol­le Wan­gen, run­de Ar­me und
Ge­sich­ter, die ver­le­gen sind, weil sie in die­se un­an­ge­neh­me Si­tua­ti­on ge­ra­ten
sind. Die Fuß­gän­ger auf den Trot­toirs sind bes­ser dran; sie schau­en ein­fach weg
und zer­ren ih­re Kin­der mit, die ste­hen­blei­ben und die Ver­stüm­mel­ten er­klärt
ha­ben wol­len. Wer kann, ver­schwin­det durch die Sei­ten­stra­ßen.
    Die
Son­ne steht hoch, es ist heiß, und die Ver­wun­de­ten fan­gen an zu schwit­zen. Es
ist der un­ge­sun­de kä­si­ge Schweiß der

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