E.M. Remarque
darüber hatten, ob Adam
und Eva einen Nabel gehabt hätten oder nicht.»
Wernicke
grinst. Bodendiek macht ein angewidertes Gesicht. «Billigste Unwissenheit und
platter Materialismus, traut verbündet wie immer», sagt er in die Richtung von
Wernicke und mir.
«Sie
sollten nicht mit der Wissenschaft auf einem so hohen Roß sitzen», erwidere
ich. «Was würden Sie machen, wenn Sie einen hochentzündeten Blinddarm hätten,
und weit und breit wäre nur ein einziger, erstklassiger, aber atheistischer
Arzt zur Hilfe da? Beten oder sich von einem Heiden operieren lassen?»
«Beides,
Sie Anfänger in der Dialektik – es würde dem heidnischen Arzt eine Gelegenheit
geben, sich Verdienst vor Gott zu erwerben.»
«Sie
sollten sich überhaupt nicht von einem Arzt behandeln lassen», sage ich. «Wenn
es Gottes Wille wäre, so müßten Sie eben sterben, aber nicht versuchen, das zu
korrigieren.»
Bodendiek
winkt ab. «Jetzt kommt bald die Sache mit dem freien Willen und der Allmacht
Gottes. Findige Untersekundaner glauben damit die gesamte Kirchenlehre zu
widerlegen.» Er erhebt sich wohlwollend. Sein Schädel leuchtet von Gesundheit.
Wernicke und ich sehen schmächtig gegen diesen Glaubensprotz aus. «Gegesegnete
Mahlzeit!» sagt er. «Ich muß noch zu meinen anderen Pfarrkindern.»
Niemand
antwortet auf das Wort «andere». Er rauscht ab. «Haben Sie schon beobachtet,
daß Priester und Generäle meistens steinalt werden?» frage ich Wernicke.
«Der
Zahn des Zweifels und der Sorge nagt nicht an ihnen. Sie sind viel in frischer
Luft, sind auf Lebenszeit angestellt und brauchen nicht zu denken. Der eine hat
den Katechismus, der andere das Exerzierreglement. Außerdem genießen beide
größtes Ansehen. Der eine ist hoffähig bei Gott, der andere beim Kaiser.»
Wernicke
zündet sich eine Zigarette an. «Haben Sie auch bemerkt, wie vorteilhaft der
Vikar kämpft?» frage ich.
«Wir
müssen seinen Glauben respektieren – er unsern Unglauben nicht.»
Wernicke
bläst den Rauch in meine Richtung. «Er macht Sie ärgerlich – Sie ihn nicht.»
«Das
ist es!» sage ich. «Das macht mich ja so ärgerlich!»
«Er
weiß es. Das macht ihn so sicher.»
Ich
schenke mir den Rest des Weines ein. Kaum anderthalb Glas – das andere hat der
Streiter Gottes getrunken – einen Forster Jesuitengarten 1915 – Wein, den man
nur abends mit einer Frau trinken sollte. «Und Sie?» frage ich.
«Mich
geht das alles nichts an», sagt Wernicke. «Ich bin eine Art Verkehrspolizist
des Seelenlebens. Ich versuche es an dieser Kreuzung hier etwas zu dirigieren –
aber ich bin nicht für den Verkehr verantwortlich.»
«Ich
fühle mich immerfort für alles in der Welt verantwortlich. Bin ich eigentlich
ein Psychopath?»
Wernicke
bricht in ein beleidigendes Gelächter aus. «Das möchten Sie wohl! So einfach
ist das nicht! Sie sind völlig uninteressant. Ein ganz normaler
Durchschnittsadoleszent!»
Ich
komme auf die Große Straße. Langsam schiebt sich ein Demonstrationszug vom
Markt her heran. Wie Möwen vor einer dunklen Wolke flattern hastig noch eine
Anzahl hellgekleideter Sonntagsausflügler mit Kindern, Eßpaketen, Fahrrädern
und buntem Krimskrams vor ihm her – dann ist er da und versperrt die Straße.
Es
ist ein Zug von Kriegskrüppeln, die gegen ihre niedrigen Renten protestieren.
Voran fährt auf einem kleinen Rollwagen der Stumpf eines Körpers mit einem
Kopf. Arme und Beine fehlen. Es ist nicht mehr möglich, zu sehen, ob der Stumpf
früher ein großer oder ein kleiner Mann gewesen ist. Selbst an den Schultern
kann man es nicht mehr abschätzen, da die Arme so hoch amputiert worden sind,
daß kein Platz für Prothesen mehr da war. Der Kopf ist rund, der Mann hat
lebhafte braune Augen und trägt
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