E.M. Remarque
Blutarmen, der ihnen über die Gesichter
rinnt. Hinter ihnen plärrt plötzlich eine Hupe. Jemand hat es nicht
ausgehalten; er glaubt, er müsse einige Minuten sparen, und versucht deshalb,
halb auf dem Trottoir vorbeizufahren. Alle Verwundeten drehen sich um. Keiner
sagt etwas, aber sie ziehen sich auseinander und sperren die Straße. Das Auto
müßte sie überfahren, wenn es passieren wollte. Ein junger Mann in einem hellen
Anzug, mit einem Strohhut, sitzt mit einem Mädchen darin. Er macht ein paar
albernverlegene Gesten und zündet sich eine Zigarette an. Jeder der Verletzten,
der an ihm vorbeikommt, sieht ihn an. Nicht aus Vorwurf – er sieht nach der
Zigarette, deren würziger Duft über die Straße treibt. Es ist eine sehr gute
Zigarette, und keiner der Verwundeten kann sich oft erlauben, überhaupt noch zu
rauchen. Deshalb schnuppern sie wenigstens, soviel sie können.
Ich
folge dem Zug bis zur Marienkirche. Dort stehen zwei Nationalsozialisten in
Uniform mit einem großen Schild: «Kommt zu uns, Kameraden! Adolf Hitler wird
Euch helfen!» Der Zug zieht um die Kirche herum.
Wir sitzen in der
Roten Mühle. Eine Flasche Champagner steht vor uns. Sie kostet zwei Millionen
Mark – soviel wie ein Beinamputierter mit Familie in zwei Monaten an Rente
erhält. Riesenfeld hat sie bestellt.
Er
sitzt so, daß er die Tanzfläche voll übersehen kann.
«Ich
wußte es von Anfang an», erklärt er mir. «Wollte nur mal sehen, wie ihr mich
anschwindeln würdet. Aristokratinnen wohnen nicht gegenüber von kleinen
Grabsteingeschäften und nicht in solchen Häusern!»
«Das
ist ein erstaunlicher Trugschluß für einen Weltmann wie Sie», erwidere ich.
«Sie sollten wissen, daß Aristokraten fast nur noch so wohnen. Die Inflation
hat dafür gesorgt. Es ist aus mit den Palästen, Herr Riesenfeld. Und wenn
jemand noch einen hat, vermietet er Zimmer darin. Das ererbte Geld ist
dahingeschwunden. Königliche Hoheiten wohnen in möblierten Zimmern,
säbelrasselnde Obersten sind zähneknirschend Versicherungsagenten geworden,
Gräfinnen ...»
«Genug!»
unterbricht mich Riesenfeld. «Mir kommen die Tränen! Weitere Aufklärungen sind
unnötig. Aber die Sache mit Frau Watzek habe ich immer gewußt. Es hat mich nur
amüsiert, euch bei euren plumpen Schwindelversuchen zuzusehen.»
Er
schaut hinter Lisa her, die mit Georg einen Foxtrott tanzt. Ich vermeide es,
den Odenwald-Casanova daran zu erinnern, daß er Lisa als Französin mit dem Gang
eines vollschlanken Panthers klassifiziert hat – es würde den sofortigen
Abbruch unserer Beziehungen bedeuten, und wir brauchen dringend Granit.
«Übrigens
tut das dem Ganzen keinen Abbruch», erklärt Riesenfeld versöhnlich. «Ist im
Gegenteil noch höher anzusetzen! Diese Rasse, ganz aus dem Volke! Sehen Sie
nur, wie sie tanzt! Wie ein – ein ...»
«Ein
vollschlanker Panther», half ich aus.
Riesenfeld
schielt mich an. «Manchmal verstehen Sie ein bißchen von Frauen», knurrt er.
«Gelernt
– von Ihnen!»
Er
prostet mir zu, ahnungslos geschmeichelt. «Ich möchte gern eines von Ihnen
wissen», sage ich. «Ich habe das Gefühl, daß Sie zu Hause im Odenwald ein
erstklassiger, ruhiger Bürger und Familienvater sind – Sie haben uns ja vorhin
die Fotos Ihrer drei Kinder und Ihres rosenumblühten Hauses gezeigt, zu dessen
Mauern Sie aus Prinzip kein Stück Granit verwendet haben, was ich, als
verkrachter Poet, Ihnen hoch anrechne –, warum verwandeln Sie sich dann draußen
in einen solchen König der Nachtklubs?»
«Um
zu Hause mit um so mehr Genuß Bürger und Familienvater zu sein», erwidert
Riesenfeld prompt.
«Das
ist ein guter Grund. Aber warum erst der Umweg?»
Riesenfeld
grinst. «Es
Weitere Kostenlose Bücher