E.M. Remarque
Mausoleum
anzuschauen.»
«Beeilen
Sie sich nicht. Sehen Sie es sich lieber an, wie es in natürlicher Umgebung
wirkt – wenn Schwarzkopf es aufgestellt hat.»
Scherz
lacht wieder, aber ziemlich hohl jetzt. Ich lache auch. Keiner glaubt dem
anderen; aber jeder hat einen Haken geschluckt. Er Schwarzkopf, und ich, daß
ich ihn vielleicht diesmal doch erwischen werde.
Ich
gehe weiter. Aus dem Altstädter Hof kommt der Geruch von Tabak und
abgestandenem Bier. Ich wandere durch das Tor in den Hinterhof der Kneipe. Dort
bietet sich ein Bild des Friedens. Die Schnapsleichen vom Samstagabend liegen
da in der frühen Sonne. Fliegen summen in den röchelnden Atemzügen der Kirsch-,
Steinhäger- und Korntrinker herum, als wären es aromatische Passatwinde von den
Gewürzinseln; Spinnen steigen aus dem Laub des wilden Weins auf ihren Seilen
über den Gesichtern auf und ab wie Trapez-Akrobaten, und im Schnurrbart eines
Zigeuners turnt ein Käfer, als wäre es ein Bambushain. Da ist es, denke ich,
wenigstens im Schlaf, das verlorene Paradies, die große Verbrüderung!
Ich
blicke zu Gerdas Fenster hinauf. Das Fenster steht offen.
«Hilfe!»
sagt plötzlich eine der Gestalten auf dem Boden. Sie sagt es ruhig, leise und
resigniert – sie schreit nicht, und gerade das trifft mich wie der Ätherschlag
eines Strahlenwesens. Es ist ein gewichtsloser Schlag auf die Brust, der durch
die Brust geht wie Röntgenlicht, der aber dann den Atem trifft, daß er sich
staut. Hilfe! denke ich. Was rufen wir anders, hörbar, unhörbar, immerfort?
Die Messe ist vorbei.
Die Oberin übergibt mir mein Honorar. Es lohnt sich nicht, es einzustecken;
aber ich kann es nicht zurückweisen, das würde sie kränken. «Ich habe Ihnen
eine Flasche Wein zum Frühstück geschickt», sagt sie. «Wir haben nichts
anderes, um es Ihnen zu geben. Aber wir beten für Sie.»
«Danke»,
erwidere ich. «Aber wie kommen Sie an diese ausgezeichneten Weine? Die kosten
doch auch Geld.»
Die
Oberin lächelt über ihr zerknittertes Elfenbeingesicht, das die blutlose Haut
hat, die Klosterinsassen, Zuchthäusler, Kranke und Bergwerksarbeiter haben.
«Wir bekommen sie geschenkt. Es gibt einen frommen Weinhändler in der Stadt.
Seine Frau war lange hier. Er schickt uns seitdem jedes Jahr ein paar Kisten.»
Ich
frage nicht, warum er sie schickt. Ich erinnere mich daran, daß der Streiter
Gottes, Bodendiek, auch nach der Messe sein Frühstück ißt, und ich gehe rasch
los, um noch etwas zu retten.
Die
Flasche ist natürlich schon halb leer. Auch Wernicke ist da; aber er trinkt nur
Kaffee. «Die Flasche, aus der Sie sich soeben so freigebig einschenken,
Hochwürden», sage ich zu Bodendiek, «ist von der Oberin für mich privat als
Gehaltszulage heraufgeschickt worden.»
«Das
weiß ich», erwidert der Vikar. «Aber sind Sie nicht der Apostel der Toleranz,
Sie munterer Atheist? Gönnen Sie Ihren Freunden also nur ruhig einen Tropfen.
Eine ganze Flasche zum Frühstück wäre für Sie höchst ungesund.»
Ich
antworte nicht. Der Kirchenmann hält das für Schwäche und holt sofort zur
Attacke aus. «Was macht die Lebensangst?» fragt er und nimmt einen herzhaften
Schluck.
«Was?»
«Die
Lebensangst, die Ihnen aus allen Knochen dampft, wie ...»
«Wie
Ektoplasma», wirft Wernicke hilfreich ein.
«Wie
Schweiß», sagt Bodendiek, der dem Arzt nicht traut.
«Wenn
ich Lebensangst hätte, wäre ich gläubiger Katholik», erkläre ich und ziehe die
Flasche an mich.
«Unsinn!
Wenn Sie gläubiger Katholik wären, hätten Sie keine Lebensangst.»
«Das
ist kirchenväterliche Haarspalterei.»
Bodendiek
lacht. «Was wissen denn Sie schon von der exquisiten Geistigkeit unserer
Kirchenväter, Sie junger Barbar?»
«Genug,
um aufzuhören bei dem jahrelangen Streit, den die Väter
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