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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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Stu­fen des Al­tars kni­en die Meß­die­ner in
ih­ren ro­ten Tala­ren mit den wei­ßen Über­wür­fen.
    Ich
zie­he die Re­gis­ter der Flö­ten und der Vox hu­ma­na und be­gin­ne. Mit ei­nem Ruck
wen­den sich die Köp­fe der Ir­ren in den vor­de­ren Rei­hen um, al­le auf ein­mal, als
wür­den sie an ei­ner Schnur her­um­ge­zo­gen. Ih­re blei­chen Ge­sich­ter mit den
dunklen Au­gen­höh­len star­ren aus­drucks­los nach oben zur Or­gel. Sie schwe­ben wie
fla­che hel­le Schei­ben in dem däm­mern­den gol­de­nen Licht, und manch­mal, im
Win­ter, im Dun­keln, se­hen sie aus wie große Hos­ti­en, die dar­auf war­ten, daß der
Hei­li­ge Geist in sie ein­keh­re. Sie ge­wöh­nen sich nicht an die Or­gel; sie ha­ben
kei­ne Ver­gan­gen­heit und kei­ne Er­in­ne­rung, und je­den Sonn­tag tref­fen die Flö­ten
und Gei­gen und die Gam­ben ih­re ent­frem­de­ten Ge­hir­ne un­er­war­tet und neu. Dann
be­ginnt der Pries­ter am Al­tar, und sie wen­den sich ihm zu.
    Nicht
al­le Ir­ren fol­gen der Mes­se. In den hin­te­ren Rei­hen sit­zen vie­le, die sich
nicht be­we­gen. Sie sit­zen da, als wä­ren sie ein­gehüllt in ei­ne furcht­ba­re
Trau­er und um sie wä­re nichts als Lee­re – aber viel­leicht scheint ei­nem das
auch nur so. Viel­leicht sind sie in ganz an­de­ren Wel­ten, in die kein Wort des
ge­kreu­zig­ten Hei­lands klingt, harm­los und oh­ne Ver­ste­hen ei­ner Mu­sik
hin­ge­ge­ben, ge­gen die die Or­gel blaß und grob klingt. Und viel­leicht auch
den­ken sie gar nichts – gleich­gül­tig wie das Meer, das Le­ben und der Tod. Nur
wir be­see­len die Na­tur. Wie sie sein mag, wenn sie sie selbst ist – viel­leicht
wis­sen es die Köp­fe da un­ten; aber sie kön­nen das Ge­heim­nis nicht ver­ra­ten. Was
sie se­hen, hat sie stumm ge­macht. Manch­mal ist es, als wä­ren sie die letz­ten
Ab­kom­men der Turm­bau­er von Ba­bel, ih­re Spra­che sei ver­wirrt und sie könn­ten
nicht mehr mit­tei­len, was sie von der obers­ten Ter­ras­se aus ge­se­hen ha­ben.
    Ich
spä­he nach der ers­ten Rei­he. An der rech­ten Sei­te, in ei­nem Flir­ren von Ro­sa
und Blau se­he ich den dunklen Kopf Isa­bel­les. Sie kniet sehr ge­ra­de und schlank
in der Bank. Ihr schma­ler Kopf ist zur Sei­te ge­neigt wie bei ei­ner go­ti­schen
Sta­tue. Ich sto­ße die Gam­ben und die Re­gis­ter der Vox hu­ma­na zu­rück und zie­he
die Vox Ce­les­te. Es ist das sanf­tes­te und ent­rück­tes­te Re­gis­ter der Or­gel. Wir
nä­hern uns der hei­li­gen Wand­lung. Brot und Wein wer­den in den Leib und das Blut
Chris­ti ver­wan­delt. Es ist ein Wun­der – eben­so wie je­nes an­de­re, daß aus Staub
und Lehm der Mensch ge­wor­den sei. Rie­sen­feld be­haup­tet, das drit­te wä­re, daß
der Mensch mit die­sem Wun­der nicht viel mehr an­zu­fan­gen ge­wußt ha­be, als
sei­nes­glei­chen auf im­mer groß­zü­gi­ge­re Wei­se aus­zu­nut­zen und um­zu­brin­gen und die
kur­ze Frist zwi­schen Ge­burt und Tod mit so­viel Ego­is­mus wie nur mög­lich
voll­zu­stop­fen, ob­schon für je­den doch nur ei­nes ab­so­lut si­cher sei von Be­ginn:
daß er ster­ben müs­se. Das sagt Rie­sen­feld von den Oden­wäl­der Gra­nit­wer­ken,
ei­ner der schärfs­ten Kal­ku­la­to­ren und Drauf­gän­ger im Ge­schäft des To­des. Ag­nus
Dei qui tol­lis pec­ca­ta mun­di.
    Ich
er­hal­te
nach der Mes­se von den Schwes­tern der An­stalt ein Früh­stück aus Ei­ern,
Auf­schnitt, Bouil­lon, Brot und Ho­nig. Das ge­hört zu mei­nem Ver­trag. Ich kom­me
da­mit gut über das Mit­tages­sen hin­weg; denn sonn­tags gel­ten Eduards Eß­kar­ten
nicht. Au­ßer­dem er­hal­te ich tau­send Mark, ei­ne Sum­me, für die ich ge­ra­de mit
der Stra­ßen­bahn hin- und zu­rück­fah­ren kann, wenn ich will. Ich ha­be nie ei­ne
Er­hö­hung ver­langt. Warum, weiß ich nicht; bei dem Schus­ter Karl Brill und den
Nach­hil­fe­stun­den für den Sohn des Buch­händ­lers Bau­er kämp­fe ich dar­um wie ein
wil­der Zie­gen­bock.
    Nach
dem Früh­stück ge­he ich in den Park der An­stalt. Es ist ein schö­nes,
weit­läu­fi­ges Ge­län­de mit Bäu­men, Blu­men und Bän­ken, um­ge­ben von ei­ner ho­hen
Mau­er, und man könn­te glau­ben, in ei­nem Sa­na­to­ri­um zu sein, wenn man

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