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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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am dunklen Bü­ro vor­bei, in den Gar­ten. Die Haus­tür
der Fa­mi­lie Knopf steht of­fen. Wie in ei­ner feu­ri­gen Höh­le sit­zen da die drei
Töch­ter Knopfs im Licht an ih­ren Näh­ma­schi­nen und ar­bei­ten. Die Ma­schi­nen
sur­ren. Ich wer­fe einen Blick auf das Fens­ter ne­ben dem Bü­ro. Es ist dun­kel;
Ge­org ist al­so be­reits ir­gend­wo­hin ver­schwun­den. Auch Hein­rich ist in den
tröst­li­chen Ha­fen sei­nes Stamm­ti­sches ein­ge­kehrt. Ich ma­che ei­ne Run­de durch
den Gar­ten. Je­mand hat die Bee­te be­gos­sen, die Er­de ist feucht und riecht
stark. Wil­kes Sarg­tisch­le­rei ist leer, und auch bei Kurt Bach ist es still. Die
Fens­ter ste­hen of­fen; ein halb­fer­ti­ger trau­ern­der Lö­we kau­ert auf dem Bo­den,
als ha­be er Zahn­schmer­zen, und da­ne­ben ste­hen fried­lich zwei lee­re
Bier­fla­schen.
    Ein
Vo­gel fängt plötz­lich an zu sin­gen. Es ist ei­ne Dros­sel. Sie sitzt auf der
Spit­ze des Kreuz­denk­mals, das Hein­rich Kroll ver­scha­chert hat, und hat ei­ne
Stim­me, die viel zu groß ist für den klei­nen schwar­zen Ball mit dem gel­ben
Schna­bel. Sie ju­belt und klagt und be­wegt mir das Herz. Ich den­ke einen
Au­gen­blick dar­an, daß ihr Lied, das für mich Le­ben und Zu­kunft und Träu­me und
al­les Un­ge­wis­se, Frem­de und Neue be­deu­tet, für die Wür­mer, die sich aus der
feuch­ten Gar­ten­er­de um das Kreuz­denk­mal jetzt her­au­f­ar­bei­ten, oh­ne Zwei­fel
nichts wei­ter ist, als das grau­en­haf­te Si­gnal des To­des durch Zer­ha­cken mit
fürch­ter­li­chen Schna­bel­hie­ben – trotz­dem kann ich mir nicht hel­fen, es schwemmt
mich weg, es lo­ckert al­les auf, ich ste­he auf ein­mal hilf­los und ver­lo­ren da
und wun­de­re mich, daß ich nicht zer­rei­ße oder wie ein Bal­lon in den Abend­him­mel
flie­ge, bis ich mich schließ­lich fas­se und durch den Gar­ten und den Nacht­ge­ruch
zu­rück­stol­pe­re, die Trep­pen hin­auf, zum Kla­vier, und auf die Tas­ten haue und
sie streich­le und ver­su­che, auch so et­was wie ei­ne Dros­sel zu sein, und
her­aus­zu­schmet­tern und zu be­ben, was ich füh­le –: aber es wird dann doch zum
Schluß nichts an­de­res dar­aus als ein Hau­fen von Ar­peg­gi­en und Fet­zen von ein
paar Schmacht­schla­gern und Volks­lie­dern und et­was aus dem Ro­sen­ka­va­lier und aus
Tris­tan, ein Ge­misch und ein Durch­ein­an­der, bis je­mand von der Stra­ße
her­auf­schreit: «Mensch, ler­ne doch erst ein­mal rich­tig spie­len!»
    Ich
bre­che ab und schlei­che zum Fens­ter. Im Dun­kel ver­schwin­det ei­ne dunkle
Ge­stalt; sie ist be­reits zu weit weg, um ihr et­was an den Kopf zu wer­fen, und
wo­zu auch? Sie hat ja recht. Ich kann nicht rich­tig spie­len, we­der auf dem
Kla­vier noch auf dem Le­ben, nie, nie ha­be ich es ge­konnt, im­mer war ich zu has­tig,
im­mer zu un­ge­dul­dig, im­mer kam et­was da­zwi­schen, im­mer brach es ab – aber wer
kann schon rich­tig spie­len, und wenn er es kann, was nützt es ihm dann? Ist das
große Dun­kel dar­um we­ni­ger aus­sichts­los, brennt die Ver­zweif­lung über die ewi­ge
Un­zu­läng­lich­keit dar­um we­ni­ger schmerz­haft, und ist das Le­ben da­durch je­mals zu
er­klä­ren und zu fas­sen und zu rei­ten wie ein zah­mes Pferd, oder ist es im­mer
wie ein mäch­ti­ges Se­gel im Sturm, das uns trägt und uns, wenn wir es grei­fen
wol­len, ins Was­ser fegt? Da ist manch­mal ein Loch vor mir, das scheint bis in
den Mit­tel­punkt der Er­de zu rei­chen. Was füllt es aus? Die Sehn­sucht? Die
Ver­zweif­lung? Ein Glück? Und wel­ches? Die Mü­dig­keit? Die Re­si­gna­ti­on? Der Tod?
Wo­zu le­be ich? Ja, wo­zu le­be ich?

III
    Es
ist Sonn­tag
früh. Die Glo­cken läu­ten von al­len Tür­men, und die Irr­lich­ter des Abends sind
zer­sto­ben. Der Dol­lar steht im­mer noch auf sechs­und­drei­ßig­tau­send, die Zeit
hält den Atem an, die Wär­me hat den Kris­tall des Him­mels noch nicht
ge­schmol­zen, und al­les scheint klar und un­end­lich rein, es ist die ei­ne Stun­de
am Mor­gen, wo man glaubt, daß selbst dem Mör­der ver­ge­ben wird und daß gut und
bö­se be­lang­lo­se Wor­te sind.
    Ich
zie­he mich lang­sam an. Die küh­le, son­ni­ge Luft weht durch das of­fe­ne Fens­ter.
Schwal­ben blit­zen

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