E.M. Remarque
betrachte ihn mit fressendem Neid. Da
sitzt er, ohne viel Sorgen, eine Zigarre steckt in seiner Brusttasche, sie wird
nicht bitter wie Galle schmecken wie mir Wernickes Brasil, drüben haust Lisa
und ist vernarrt in ihn, einfach, weil er der Sohn einer Familie ist, die
bereits ein Geschäft hatte, während ihr Vater noch ein Gelegenheitsarbeiter
war. Sie hat ihn als Kind angestaunt, wenn er einen weißen Umlegekragen trug
und auf den Locken, die er damals noch besaß, eine Matrosenmütze, während sie
ein Kleid aus dem alten Rock ihrer Mutter schleppte – und bei diesem Staunen
ist es geblieben. Georg braucht nichts weiter zu seiner Glorie zu tun. Lisa
weiß nicht einmal, glaube ich, daß er kahl ist – für sie ist er immer noch der
bürgerliche Prinz im Matrosenanzug.
«Du
hast es gut», sage ich.
«Ich
verdiene es auch», erwidert Georg und klappt die Hefte des Lesezirkels
Modernitas zu. Dann holt er ein Kistchen Sprotten von der Fensterbank und zeigt
auf ein halbes Brot und ein Stück Butter. «Wie wäre es mit einem schlichten
Nachtessen mit Blick auf das abendliche Leben einer mittleren Stadt?»
Es
sind dieselben Sprotten, bei denen mir auf der Großen Straße vor dem Laden das
Wasser im Munde zusammengelaufen ist. Jetzt kann ich sie plötzlich nicht mehr
sehen.
«Du
erstaunst mich», sage ich. «Warum ißt du zu Abend? Warum dinierst du nicht in
deiner Kluft im ehemaligen Hotel Hohenzollern, im jetzigen Reichshof? Kaviar
und Seetiere?»
«Ich
liebe Kontraste», erwidert Georg. «Wie sollte ich sonst leben, als
Grabsteinhändler in einer Kleinstadt mit der Sehnsucht nach der großen Welt?»
Er
steht in voller Pracht am Fenster. Über die Straße kommt plötzlich ein heiserer
Bewunderungsruf. Georg stellt sich en face, die Hände in den Hosentaschen, so
daß die weiße Weste zur Geltung kommt. Lisa zerschmilzt, soweit das bei ihr
möglich ist. Sie zieht den Kimono um sich, vollführt eine Art arabischen Tanz,
wickelt sich heraus, steht plötzlich nackt und dunkel als Silhouette vor ihrer
Lampe, wirft den Kimono wieder um, stellt die Lampe neben sich und ist aufs
neue warm und braun, von Kranichen überflogen, ein weißes Lachen wie eine
Gardenie im gierigen Mund. Georg, wie ein Pascha, nimmt die Huldigung hin und
läßt mich wie einen Eunuchen, der nicht zählt, daran teilnehmen. Er hat durch
diesen Augenblick für lange Zeit hinaus den Knaben im Matrosenanzug, der dem
zerlumpten Mädel imponiert hat, aufs neue in seiner Stellung gefestigt. Dabei
ist ein Smoking für Lisa, die unter den Schiebern der Roten Mühle zu Hause ist,
wahrhaftig nichts Neues; aber bei Georg ist das natürlich etwas ganz anderes.
Reines Gold. «Du hast es gut», sage ich noch einmal. «Und einfach! Riesenfeld
könnte sich Arterien aufbeißen, Gedichte machen und seine Granitwerke ruinieren
– er würde nicht schaffen, was du als Mannequin erreichst.»
Georg
nickt. «Es ist ein Geheimnis! Aber dir will ich es verraten. Tue nie etwas
kompliziert, was auch einfach geht. Es ist eine der größten Lebensweisheiten,
die es gibt. Sehr schwer anzuwenden. Besonders für Intellektuelle und
Romantiker.»
«Sonst
noch was?»
«Nein.
Aber produziere dich nie als geistiger Herkules, wenn eine neue Hose dasselbe
erreicht. Du irritierst so deinen Partner nicht, er braucht sich nicht
anzustrengen, dir zu folgen, du bleibst ruhig und gelassen, und das, was du
willst, fällt dir, bildlich gesprochen, in den Schoß.»
«Mach
dir keinen Fettfleck auf die Seidenaufschläge», sage ich. «Sprotten tropfen
leicht.»
«Du
hast recht.» Georg zieht den Rock aus. «Man soll sein Glück nie forcieren. Ein
weiteres beachtenswertes Motto.»
Er
greift wieder nach den Sprotten. «Warum schreibst du nicht Motto-Serien für
Kalenderfirmen?» frage ich
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