E.M. Remarque
arbeitet Kurt auf Vorrat sehr kleine,
billige Platten, die wir immer brauchen, zumal jetzt bis im Herbst, wo es, wie
im Frühjahr, wieder ein großes Sterben geben wird. Grippe, Hunger, schlechte
Kost und mangelnde Widerstandskraft werden dafür sorgen.
Gedämpft
summen die Nähmaschinen hinter der Haustür der Familie Knopf. Durch das
Glasfenster der Tür dringt das Licht vom Wohnzimmer, in dem die Trauerkleider
genäht werden. Das Fenster des alten Knopf ist dunkel. Wahrscheinlich ist er
schon tot. Wir sollten ihm den schwarzen Obelisken aufs Grab setzen, denke ich,
diesen finsteren Steinfinger, der aus der Erde in den Himmel zeigt. Für Knopf
war er eine zweite Heimat, und verkaufen haben ja bereits zwei Generationen von
Krolls den dunklen Ankläger nicht können.
Ich gehe ins Büro.
«Komm herein!» ruft Georg, der mich gehört hat, aus seinem Zimmer.
Ich
öffne die Tür und staune. Georg sitzt im Lehnstuhl, wie üblich, die
Zeitschriften mit Bildern vor sich. Der wöchentliche Lesezirkel der eleganten
Welt, dem er angehört, hat ihm gerade neues Futter gebracht. Das aber ist nicht
alles – er sitzt da im Smoking, mit einem gestärkten Hemd und sogar einer
weißen Weste, ein Bild wie aus der Zeitschrift: Der Junggeselle. «Also doch!»
sage ich. «Du hast die Mahnung deiner Instinkte der Vergnügungssucht geopfert.
Der Smoking der Witwe!»
«Keineswegs!»
Georg räkelt sich selbstgefällig. «Was du hier siehst, ist ein Beispiel dafür,
wie sehr uns Frauen im Einfall überlegen sind. Es ist ein anderer Smoking. Die
Witwe hat den ihren bei einem Schneider dafür eingetauscht und auf diese Weise
gezahlt, ohne mein Zartgefühl zu verletzen – Du siehst es hier – der Smoking
der Witwe war auf Satin gefüttert, dieser hier hat reine Seide. Er paßt mir
auch unter den Ärmeln besser. Der Preis ist, durch die Inflation, in Goldmark
derselbe; das Stück eleganter. So macht sich Zartgefühl ausnahmsweise einmal
sogar bezahlt.»
Ich
betrachte ihn. Der Smoking ist gut, aber auch nicht ganz neu. Ich vermeide es,
Georgs Zartgefühl zu verwirren und zu behaupten, daß auch dieses Stück
wahrscheinlich von einem Toten stamme. Was stammt schließlich nicht von Toten?
Unsere Sprache, unsere Gewohnheiten, unser Wissen, unsere Verzweiflung – was
nicht? Georg allerdings hat im Kriege, besonders im letzten Jahr, so viele
Uniformen von Toten getragen, manchmal noch mit fahlen Blutflecken und den
gestopften Einschußlöchern, daß es nicht nur neurotisches Zartgefühl bei ihm
ist, wenn er das jetzt nicht mehr will – es ist Rebellion und der Wunsch nach
Frieden. Und Frieden symbolisiert sich für ihn darin, nicht mehr Anzüge von
Toten tragen zu müssen.
«Was
machen die Filmschauspielerinnen Henny Porten, Erna Morena und die
unvergeßliche Lia de Putti?» frage ich.
«Sie
haben dieselben Sorgen wie wir!» erklärt Georg.
«Sich
so schnell wie möglich in Sachwerte zu flüchten, Autos, Pelze, Tiaras, Hunde,
Häuser, Aktien und Filmproduzenten – nur fällt es ihnen leichter als uns.»
Er
schaut liebevoll auf das Bild einer Hollywood-Party. In unbeschreiblicher
Eleganz sieht man dort das Bild eines Balles. Die Herren sind, wie Georg, im
Smoking oder im Frack. «Wann bekommst du einen Frack?» frage ich.
«Nachdem
ich mit meinem Smoking auf dem ersten Ball gewesen bin. Ich werde dazu nach
Berlin ausreißen! Drei Tage! Irgendwann, wenn die Inflation zu Ende ist und
Geld wieder Geld ist und kein Wasser. Inzwischen bereite ich mich vor, wie du
siehst.»
«Dir
fehlen die Lackschuhe», sage ich, zu meinem Erstaunen irritiert über den selbstzufriedenen
Mann von Welt.
Georg
holt das goldene Zwanzigmarkstück aus der Westentasche, wirft es hoch, fängt es
auf und steckt es wortlos wieder ein. Ich
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