E.M. Remarque
Ladenbesitzer,
Arbeiter, Rentner, die ihre Sparkasseneinlagen und ihre Bankguthaben
dahinschmelzen sehen, und Angestellte und Beamte, die ihr Leben von Gehältern
fristen müssen, die ihnen nicht mehr erlauben, auch nur ein Paar neue Schuhe zu
kaufen. Wer verdient, sind die Schieber, die Wechselkönige, die Ausländer, die
für ein paar Dollars, Kronen oder Zlotys kaufen können, was sie wollen, und die
großen Unternehmer, Fabrikanten und Börsenspekulanten, die ihre Aktien und
ihren Besitz ins Ungemessene vergrößern. Für sie ist alles beinahe umsonst. Es
ist der große Ausverkauf des Sparers, des ehrlichen Einkommens und der
Anständigkeit. Die Geier flattern von allen Seiten, und nur wer Schulden machen
kann, ist fein heraus. Sie verschwinden von selbst.
Riesenfeld war es, der uns
alles dies im letzten Augenblick beigebracht und uns zu winzigen
Mitschmarotzern an der großen Pleite gemacht hat. Er akzeptierte von uns den
ersten Dreimonatswechsel, obwohl zumindest wir damals nicht gut für die Summe
waren, die daraufstand. Aber die Odenwälder Werke waren gut, und das genügte.
Wir waren natürlich dankbar. Wir versuchten ihn zu unterhalten wie einen
indischen Radscha, wenn er nach Werdenbrück kam – das heißt, soweit ein indischer
Radscha eben in Werdenbrück unterhalten werden kann. Kurt Bach, unser
Bildhauer, machte ein farbiges Porträt von ihm, das wir ihm feierlich in einem
stilgemäßen echten Goldrahmen überreichten. Leider freute es ihn nicht. Er
sieht darauf aus wie ein Pfarramtskandidat, und gerade das will er nicht. Er
will aussehen wie ein dunkler Verführer und nimmt auch an, daß er so wirke –
ein bemerkenswertes Beispiel von Selbsttäuschung, wenn man einen Spitzbauch und
kurze, krumme Beine hat. Aber wer lebt nicht von Selbsttäuschung? Hege ich mit
meinen harmlosen Durchschnittsfähigkeiten nicht auch noch, besonders abends,
den Traum, ein besserer Mensch zu werden, mit Talent genug, einen Verleger zu
finden? Wer wirft da den ersten Stein nach Riesenfelds O-Beinen, besonders wenn
sie, in diesen Zeiten, in echt englischem Kammgarnstoff stecken?
«Was
machen wir nur mit ihm, Georg?» sage ich. «Wir haben keine einzige Attraktion!
Mit einfachem Saufen ist Riesenfeld nicht zufrieden. Er hat zuviel Phantasie
dafür und einen zu ruhelosen Charakter. Er will etwas sehen und hören und, wenn
möglich, anfassen. Unsere Auswahl an Damen aber ist trostlos. Die paar
hübschen, die wir kennen, haben keine Lust, sich einen ganzen Abend Riesenfeld
in seiner Rolle als Don Juan von 1923 anzuhören. Hilfsbereitschaft und
Verständnis findet man leider nur bei häßlichen und ältlichen Vögeln.»
Georg
grinst. «Ich weiß nicht einmal, ob unser Bargeld für heute abend reicht. Als
ich gestern den Zaster holte, habe ich mich im Dollarkurs geirrt; ich dachte,
es wäre noch der von vormittags. Als der von zwölf Uhr rauskam, war es zu spät.
Die Bank schließt sonnabends mittags.»
«Dafür
hat sich heute nichts geändert.»
«In
der Roten Mühle schon, mein Sohn. Dort ist man sonntags dem Dollarkurs schon um
zwei Tage voraus. Weiß Gott, was eine Flasche Wein da heute abend kosten wird!»
«Gott
weiß das auch nicht», sage ich. «Der Besitzer weiß es ja selbst noch nicht. Er
setzt die Preise erst fest, wenn das elektrische Licht angeht. Warum liebt
Riesenfeld nicht Kunst, Malerei, Musik oder Literatur? Das käme viel billiger.
Im Museum kostet der Eintritt immer noch 250 Mark. Wir könnten ihm dafür
stundenlang Bilder und Gipsköpfe zeigen. Oder Musik. Heute ist ein
volkstümliches Orgelkonzert in der Katharinenkirche ...»
Georg
verschluckt sich vor Lachen. «Na, schön», erkläre ich. «Es ist absurd, sich
Riesenfeld dabei vorzustellen;
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