Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
Vom Netzwerk:
da
krank?
    Ich
tre­te an den Tisch und trin­ke mein Glas aus. Bo­den­diek be­trach­tet mich
wohl­wol­lend; Wer­ni­cke so, wie man einen völ­lig un­in­ter­essan­ten Fall an­sieht.
Ich füh­le zum ers­ten­mal den Wein; ich füh­le, daß er gut ist, in sich ge­schlos­sen,
ge­reift und nicht lo­se. Er hat kein Cha­os mehr in sich, den­ke ich. Er hat es
ver­wan­delt. Ver­wan­delt in Har­mo­nie. Aber ver­wan­delt, nicht er­setzt. Er ist ihm
nicht aus­ge­wi­chen. Ich bin plötz­lich, ei­ne Se­kun­de lang, oh­ne Grund un­sag­bar
glück­lich. Man kann das al­so, den­ke ich. Man kann es ver­wan­deln! Es ist nicht
nur eins oder das an­de­re. Es kann auch eins durch das an­de­re sein.
    Ein
neu­er blas­ser Schein wirft sich ge­gen das Fens­ter und er­lischt. Der Dok­tor
er­hebt sich. «Es geht los. Ich muß zu den Ge­schlos­se­nen hin­über.»
    Die
Ge­schlos­se­nen sind die Kran­ken, die nie her­aus­kom­men. Sie blei­ben
ein­ge­schlos­sen, bis sie ster­ben, in Zim­mern mit fest­ge­schraub­ten Mö­beln, mit
ver­git­ter­ten Fens­tern und mit Tü­ren, die man nur von au­ßen mit Schlüs­seln
öff­nen kann. Sie sind in Kä­fi­gen wie ge­fähr­li­che Raub­tie­re, und nie­mand spricht
ger­ne von ih­nen.
    Wer­ni­cke
sieht mich an. «Was ist mit Ih­rer Lip­pe los?»
    «Nichts.
Ich ha­be mich im Traum ge­bis­sen.»
    Bo­den­diek
lacht. Die Tür öff­net sich, und die klei­ne Schwes­ter bringt ei­ne neue Fla­sche
Wein her­ein, mit drei Glä­sern da­zu. Wer­ni­cke ver­läßt mit der Schwes­ter das
Zim­mer. Bo­den­diek greift nach der Fla­sche und schenkt sich ein. Ich ver­ste­he
jetzt, warum er Wer­ni­cke an­ge­bo­ten hat, mit uns zu trin­ken; die Oberin hat
dar­auf­hin die neue Fla­sche ge­schickt. Ei­ne al­lein wä­re nicht ge­nug für drei
Män­ner. Die­ser Schlau­ber­ger, den­ke ich. Er hat das Wun­der der Spei­sung bei der
Berg­pre­digt wie­der­holt. Aus ei­nem Glas für Wer­ni­cke hat er ei­ne gan­ze Fla­sche
für sich ge­macht. «Sie trin­ken wohl nicht mehr, wie?» fragt er.
    «Doch!»
er­wi­de­re ich und set­ze mich. «Ich bin auf den Ge­schmack ge­kom­men. Sie ha­ben ihn
mir bei­ge­bracht. Dan­ke herz­lich.»
    Bo­den­diek
zieht mit ei­nem sau­er­sü­ßen Lä­cheln die Fla­sche wie­der aus dem Eis. Er
be­trach­tet das Eti­kett einen Au­gen­blick, ehe er mir ein­gießt – ein vier­tel
Glas. Sein ei­ge­nes schenkt er fast bis zum Ran­de voll. Ich neh­me ihm ru­hig die
Fla­sche aus der Hand und gie­ße mein Glas nach, bis es eben­so ge­füllt ist wie
sei­nes. «Herr Vi­kar», sa­ge ich. «In man­chen Din­gen sind wir gar nicht so
ver­schie­den.»
    Bo­den­diek
lacht plötz­lich. Sein Ge­sicht ent­fal­tet sich wie ei­ne Pfingst­ro­se. «Zum Woh­le»,
sagt er sal­bungs­voll.
    Das Ge­wit­ter murrt und
zieht hin und her. Wie laut­lo­se Sä­bel­hie­be fal­len die Blit­ze. Ich sit­ze am
Fens­ter mei­nes Zim­mers, die Fet­zen al­ler Brie­fe Er­nas vor mir in ei­nem
aus­ge­höhlten Ele­fan­ten­fuß, den mir der Welt­rei­sen­de Hans Le­der­mann, der Sohn
des Schnei­der­meis­ters Le­der­mann, vor ei­nem Jahr als Pa­pier­korb ge­schenkt hat.
    Ich
bin fer­tig mit Er­na. Ich ha­be mir al­le ih­re un­an­ge­neh­men Ei­gen­schaf­ten
auf­ge­zählt; ich ha­be sie emo­tio­nell und mensch­lich in mir ver­nich­tet und als
Des­sert ein paar Ka­pi­tel Scho­pen­hau­er und Nietz­sche ge­le­sen. Aber trotz­dem
möch­te ich lie­ber, daß ich einen Smo­king hät­te, ein Au­to und einen Chauf­feur,
und daß ich, be­glei­tet von zwei bis drei be­kann­ten Schau­spie­le­rin­nen, ei­ni­ge
Hun­dert Mil­lio­nen in der Ta­sche, jetzt in der Ro­ten Müh­le auf­tau­chen könn­te, um
der Schlan­ge dort den Schlag ih­res Le­bens zu ver­set­zen. Ich träu­me ei­ne
Zeit­lang da­von, wie es wä­re, wenn sie mor­gen in der Zei­tung le­sen wür­de, ich
hät­te das große Los ge­won­nen oder wä­re schwer ver­letzt wor­den, wäh­rend ich
Kin­der aus bren­nen­den Häu­sern ge­ret­tet hät­te. Dann se­he ich Licht in Li­sas
Zim­mer.
    Sie
öff­net es und macht Zei­chen. Mein Zim­mer ist dun­kel, sie kann mich nicht se­hen;
al­so meint sie nicht mich. Sie sagt laut­los et­was, zeigt auf ih­re Brust und
dann auf un­ser Haus, und nickt.

Weitere Kostenlose Bücher