Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
Vom Netzwerk:
und ver­schwin­det.
    Bo­den­diek
lüf­tet die obe­re Schüs­sel. «Was ha­ben wir denn heu­te nacht? Bouil­lon», sagt er
zärt­lich. «Bouil­lon mit Mark­klöß­chen. Erst­klas­sig! Und Rot­kohl mit Sau­er­bra­ten.
Ei­ne Of­fen­ba­rung!»
    Er
schöpft die Tel­ler voll und be­ginnt zu es­sen. Ich är­ge­re mich dar­über, mit ihm
dis­pu­tiert zu ha­ben, und füh­le, daß er klar über­le­gen ist, ob­schon es nichts
mit dem Pro­blem zu tun hat. Er ist über­le­gen, weil er nichts sucht. Er weiß.
Aber was weiß er schon? Be­wei­sen kann er nichts. Trotz­dem kann er mit mir
spie­len, wie er will.
    Der
Arzt kommt her­ein. Es ist nicht der Di­rek­tor; es ist der be­han­deln­de Arzt.
«Es­sen Sie mit uns?» fragt Bo­den­diek. «Dann müs­sen Sie sich da­zu­hal­ten. Wir
las­sen sonst nichts üb­rig.»
    Der
Arzt schüt­telt den Kopf. «Ich ha­be kei­ne Zeit. Es gibt ein Ge­wit­ter. Da sind
die Kran­ken im­mer be­son­ders un­ru­hig.»
    «Es
sieht nicht nach ei­nem Ge­wit­ter aus.»
    «Noch
nicht. Aber es wird kom­men. Die Kran­ken füh­len das vor­aus. Wir, muß­ten schon
ein paar ins Dau­er­bad le­gen. Es wird ei­ne schwie­ri­ge Nacht wer­den.»
    Bo­den­diek
ver­teilt den Sau­er­bra­ten zwi­schen uns. Er nimmt sich die grö­ße­re Por­ti­on. «Gut,
Dok­tor», sagt er.
    «Aber
trin­ken Sie we­nigs­tens ein Glas Wein mit uns. Es ist ein Fünf­zeh­ner. Ei­ne Ga­be
Got­tes! So­gar für un­se­ren jun­gen Hei­den hier.»
    Er
zwin­kert mir zu, und ich möch­te ihm gern mei­ne Sau­er­bra­tensau­ce in sei­nen
leicht spe­cki­gen Kra­gen schüt­ten. Der Dok­tor setzt sich zu uns und nimmt das
Glas an. Die blei­che Schwes­ter steckt den Kopf durch die Tür.
    «Ich
es­se jetzt nicht, Schwes­ter», sagt der Dok­tor. «Stel­len Sie mir ein paar
be­leg­te Bro­te und ei­ne Fla­sche Bier in mein Zim­mer.»
    Er
ist ein Mann von et­wa fünf­und­drei­ßig Jah­ren, dun­kel, mit ei­nem schma­len
Ge­sicht, dicht zu­sam­men­ste­hen­den Au­gen und großen, ab­ste­hen­den Oh­ren. Er heißt
Wer­ni­cke, Gui­do Wer­ni­cke, und haßt sei­nen Vor­na­men so, wie ich «Rolf» has­se.
    «Wie
steht’s mit Fräu­lein Ter­ho­ven?» fra­ge ich.
    «Ter­ho­ven?
Ach so – nicht so be­son­ders, lei­der. Ha­ben Sie nichts be­merkt heu­te? Ei­ne
Än­de­rung?»
    «Nein.
Sie war so wie im­mer. Viel­leicht et­was er­reg­ter; aber Sie sag­ten ja, das käme
vom Ge­wit­ter.»
    «Wir
wer­den se­hen. Man kann nie viel vor­aus­sa­gen hier oben.»
    Bo­den­diek
lacht. «Das si­cher nicht. Hier nicht.»
    Ich
se­he ihn an. Was für ein ro­her Christ, den­ke ich. Aber dann fällt mir ein, daß
er ja be­rufs­mä­ßi­ger See­len­pfle­ger ist; da­bei geht im­mer et­was an Emp­fin­dung auf
Kos­ten des Kön­nens ver­lo­ren – eben­so wie bei Ärz­ten, Kran­ken­schwes­tern und
Grab­stein­ver­käu­fern.
    Ich
hö­re, wie er sich mit Wer­ni­cke un­ter­hält. Ich ha­be plötz­lich kei­ne Lust mehr zu
es­sen und ste­he auf und ge­he ans Fens­ter. Hin­ter den be­weg­ten schwar­zen Wip­feln
ist ei­ne Wol­ken­wand mit fah­len Rän­dern em­por­ge­wach­sen. Ich star­re hin­aus. Al­les
scheint auf ein­mal sehr fremd, und hin­ter dem ver­trau­ten Gar­ten­bild drängt ein
an­de­res, wil­de­res schwei­gend her­vor, das das al­te weg­stößt wie ei­ne lee­re
Hül­se. Ich er­in­ne­re mich an Isa­bel­les Schrei: «Wo ist mein ers­tes Ge­sicht? Mein
Ge­sicht vor al­len Spie­geln?» Ja, wo ist das al­ler­ers­te Ge­sicht? den­ke ich. Die
Ur­land­schaft, be­vor sie zur Land­schaft un­se­rer Sin­ne wur­de, zu Park und Wald
und Haus und Mensch – wo ist das Ge­sicht Bo­den­dieks, be­vor es Bo­den­diek wur­de,
wo das Wer­nickes, be­vor es sei­nem Na­men ent­sprach? Wis­sen wir noch et­was da­von?
Oder sind wir ge­fan­gen in ei­nem Netz von Be­grif­fen und Wor­ten, von Lo­gik und
täu­schen­der Ver­nunft, und da­hin­ter ste­hen die ein­sam lo­dern­den Ur­feu­er, zu
de­nen wir kei­nen Zu­gang mehr ha­ben, weil wir sie in Nütz­lich­keit und Wär­me
ver­wan­delt ha­ben, in Kü­chen­feu­er und Hei­zung und Schwin­del und Ge­wiß­heit und
Bür­ger­lich­keit und Mau­ern und al­len­falls in ein tür­ki­sches Bad schwit­zen­der
Phi­lo­so­phie und Wis­sen­schaft? Wo

Weitere Kostenlose Bücher