E.M. Remarque
Darauf erlischt das Licht.
Ich
beuge mich vorsichtig hinaus. Es ist zwölf Uhr nachts, und die Fenster rundum
sind dunkel. Nur das von Georg Kroll ist offen.
Ich
warte und sehe, wie Lisas Haustür sich bewegt. Sie tritt heraus, sieht rasch
nach beiden Seiten und läuft über die Straße. Sie trägt ein leichtes buntes
Kleid und hat ihre Schuhe in der Hand, um kein Geräusch zu machen. Gleichzeitig
höre ich, wie sich die Haustür bei uns vorsichtig öffnet. Es muß Georg sein.
Die Haustür hat oben eine Klingel, und um sie ohne Krach zu öffnen, muß man auf
einen Stuhl steigen, die Klingel festhalten und mit dem Fuß die Klinke
herunterdrücken und aufziehen, eine akrobatische Leistung, zu der man nüchtern
sein muß. Ich weiß, daß Georg heute abend nüchtern ist.
Gemurmel
ertönt; das Klappern von hohen Absätzen. Lisa, das eitle Biest, hat also ihre
Schuhe wieder angezogen, um verführerischer auszusehen. Die Tür zu Georgs
Zimmer seufzt leise. Also doch! Wer hätte das erwartet? Georg, dieses stille
Wasser! Wann hat er das nur geschafft?
Das
Gewitter kommt zurück. Der Donner wird stärker, und plötzlich, wie ein Regen
von Silbertalern, stürzt das Wasser auf das Pflaster. Es sprüht als
Staubfontäne zurück, und Kühle weht erfrischend herauf. Ich lehne aus dem
Fenster und blicke in den nassen Tumult. Das Wasser schießt bereits durch die
Abflußrinnen, Blitze leuchten hinein, und im Auf- und Abflammen sehe ich aus
Georgs Zimmer die nackten Arme Lisas sich in den Regen strecken, und dann sehe
ich ihren Kopf und höre ihre heisere Stimme. Georgs kahlen Kopf sehe ich nicht.
Er ist kein Naturschwärmer.
Das
Hoftor öffnet sich unter einem Fausthieb. Klatschnaß wankt der Feldwebel Knopf
herein. Das Wasser trieft von seiner Kappe. Gottlob, denke ich, bei dem Wetter
brauche ich nicht mit einem Wassereimer hinter seinen Schweinereien her zu
sein! Aber Knopf enttäuscht mich. Er sieht sein Opfer, den schwarzen Obelisken,
überhaupt nicht an. Fluchend und nach dem Regen schlagend wie nach Stechmücken,
flüchtet er ins Haus. Wasser ist sein großer Feind.
Ich
nehme den Elefantenfuß und leere seinen Inhalt auf die Straße. Der Regen
schwemmt Ernas Liebesgeschwätz rasch davon. Das Geld hat gesiegt, denke ich,
wie immer, obschon es nichts wert ist. Ich gehe zum anderen Fenster und sehe in
den Garten. Das große Regenfest ist dort in vollem Gange, eine grüne Orgie der
Begattung, schamlos und unschuldig. Im Aufblitzen des Wetterleuchtens sehe ich
die Grabplatte für den Selbstmörder. Sie ist beiseite gestellt, die Inschrift
ist eingehauen und leuchtet golden. Ich ziehe das Fenster zu und mache Licht.
Unten murmeln Georg und Lisa. Mein Zimmer erscheint mir plötzlich entsetzlich
leer. Ich öffne das Fenster wieder, lausche in das anonyme Brausen und
beschließe, mir vom Buchhändler Bauer als Honorar für die letzte Woche
Nachhilfeunterricht ein Buch über Yoga, Entsagung und Selbstgenügsamkeit geben
zu lassen. Die Leute sollen darin mit Atemübungen Fabelhaftes erreicht haben.
Bevor
ich schlafen gehe, komme ich an meinem Spiegel vorbei. Ich bleibe stehen und
sehe hinein. Was ist da wirklich? denke ich. Woher kommt die Perspektive, die
keine ist, die Tiefe, die täuscht, der Raum, der Ebene ist? Und wer ist das,
der da herausschaut und nicht da ist?
Ich
sehe meine Lippe, geschwollen und verkrustet, ich berühre sie, und jemand
gegenüber berührt eine Geisterlippe, die nicht da ist. Ich grinse, und der
Nicht-Jemand grinst zurück. Ich schüttle den Kopf, und der Nicht-Jemand
schüttelt den Nicht-Kopf. Wer von uns ist wer? Und was ist Ich? Das da oder das
Fleischumkleidete davor? Oder ist es noch etwas anderes, etwas hinter beiden?
Ich spüre einen Schauder und lösche das Licht.
VII
Riesenfeld hat Wort
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