E.M. Remarque
Willy. «Was mich verrückt macht, ist die Stimme. Nachts ist
das eine tolle Sache. Als ob du zwei verschiedene Frauen hast. Einmal eine
zarte und gleich darauf ein Fischweib. Es geht sogar noch weiter. Wenn es
dunkel ist und sie auf einmal mit der Kommandostimme loslegt, läuft es mir kalt
über den Rücken. Es ist verdammt sonderbar! Ich bin doch nicht schwul, aber
manchmal habe ich das Gefühl, ich schände einen General oder dieses Aas, den
Unteroffizier Flümer, der dich ja auch gefoltert hat in unserer Rekrutenzeit –
es ist nur so ein Augenblick, dann ist alles wieder in Ordnung, aber – du
verstehst, was ich meine?»
«So
ungefähr.»
«Schön,
also sie hat mich erwischt. Ich möchte, daß sie hierbleibt. Werde ihr eine
kleine Wohnung einrichten.»
«Glaubst
du, daß sie ihren Beruf aufgeben wird?»
«Braucht
sie nicht. Ab und zu kann sie ein Engagement annehmen. Dann gehe ich mit. Mein
Beruf ist ja beweglich.»
«Weshalb
heiratest du sie nicht? Du hast doch Geld genug.»
«Heiraten
ist etwas anderes», erklärt Willy. «Wie kannst du eine Frau heiraten, die jeden
Augenblick fähig ist, dich wie ein General anzubrüllen? Man erschrickt doch
immer wieder, wenn es unvermutet passiert, das liegt uns so im Blut. Nun,
heiraten werde ich mal eine kleine, ruhige Dicke, die erstklassig kochen kann.
Renée, mein Junge, ist die typische Mätresse.»
Ich
staune den Weltmann an. Er lächelt überlegen. Das Brevier für gute Manieren ist
für ihn überflüssig. Ich verzichte auf Spott. Spott wird dünn, wenn jemand
Amethystringe verschenken kann. Die Ringerinnen erheben sich lässig und machen
ein paar Griffe. Willy sieht interessiert zu. «Kapitale Weiber», flüstert er,
wie ein aktiver Oberleutnant vor dem Kriege.
«Was
fällt Ihnen ein? Augen rechts! Stillgestanden!» brüllt eine markige Stimme
hinter uns.
Willy
fährt zusammen. Es ist Renée, die ringgeschmückt hinter ihm lächelt. «Siehst du
jetzt, was ich meine?» fragt Willy mich.
Ich
sehe es. Die beiden ziehen ab. Draußen wartet Willys Auto, das rote Kabriolett
mit den roten Ledersitzen. Ich bin froh, daß Gerda länger braucht, um sich
anzuziehen. Sie sieht so wenigstens das Kabriolett nicht. Ich überlege, was ich
ihr heute bieten könnte. Das einzige, was ich außer dem Brevier für Weltleute
habe, sind die Eßmarken Eduard Knoblochs, und die sind leider abends nicht
gültig. Ich beschließe, es trotzdem mit ihnen zu versuchen, indem ich Eduard
vorlüge, es seien die beiden letzten.
Gerda
kommt. «Weißt du, was ich möchte, Schatz?» sagt sie, bevor ich den Mund öffnen
kann. «Laß uns etwas ins Grüne fahren. Mit der Straßenbahn hinaus. Ich möchte
Spazierengehen.»
Ich
starre sie an und traue meinen Ohren nicht. Ins Grüne spazieren – genau das war
es, was Erna, die Schlange, mir in vergifteten Worten vorgeworfen hat. Sollte
sie Gerda etwas erzählt haben? Zuzutrauen wäre es ihr.
«Ich
dachte, wir könnten zur ,Walhalla‘ gehen», sage ich vorsichtig und mißtrauisch.
«Man ißt dort großartig.»
Gerda
winkt ab. «Wozu? Es ist viel zu schön dazu. Ich habe heute nachmittag etwas
Kartoffelsalat gemacht. Hier!» Sie hält ein Paket hoch. «Den essen wir draußen
und kaufen uns Würstchen und Bier dazu. Recht?»
Ich
nicke stumm, argwöhnischer als vorher. Ernas Vorwurf mit dem billigen Wein ohne
Jahrgang ist noch unvergessen. «Ich muß ja um neun schon zurück in die
ekelhafte Stinkbude, die Rote Mühle», erklärt Gerda.
Ekelhafte
Stinkbude? Ich starre sie wieder an. Aber ihre Augen sind klar und unschuldig,
ohne jede Ironie. Und plötzlich begreife ich! Ernas Paradies ist für Gerda
nichts anderes als eine Arbeitsstätte! Sie haßt die Bude, die Erna liebt!
Gerettet, denke ich. Gottlob! Die Rote Mühle mit ihren
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