E.M. Remarque
dafür ist allmählich der
Krieg am Horizont emporgestiegen, entfernt, überlebt und dadurch ohne ihren
Willen und fast ohne ihr Zutun verwandelt, verschönert und verfälscht. Der
Massenmord ist zum Abenteuer geworden, dem man entkommen ist. Die Verzweiflung
ist vergessen, das Elend ist verklärt, und der Tod, der einen nicht erreicht
hat, ist das geworden, was er fast immer im Leben ist: etwas Abstraktes, aber
nicht mehr Wirklichkeit. Wirklichkeit ist er nur, wenn er nahe einschlägt oder
nach einem greift. Der Kriegerverein, der unter dem Kommando von Wolkenstein
vor dem Denkmal aufmarschiert ist, war 1918 pazifistisch; jetzt ist er bereits
scharf national. Wolkenstein hat die Erinnerungen an den Krieg und das
Kameradschaftsgefühl, das fast jeder hatte, geschickt in Stolz auf den Krieg
umgewandelt. Wer nicht nationalistisch ist, beschmutzt das Andenken der
gefallenen Helden – dieser armen, mißbrauchten, gefallenen Helden, die alle
gern noch gelebt hätten. Wie sie Wolkenstein von seinem Podium herunterfegen
würden, auf dem er gerade seine Rede hält, wenn sie es nur noch könnten! Aber
sie sind wehrlos und sind das Eigentum von Tausenden von Wolkensteins geworden,
die sie für die egoistischen Zwecke benützen, die sie unter Worten wie
Vaterlandsliebe und Nationalgefühl verbergen. Vaterlandsliebe! Wolkenstein
versteht darunter, wieder Uniform zu tragen, Oberst zu werden und weiter Leute
in den Tod zu schicken.
Er
donnert mächtig von der Tribüne und ist bereits beim inneren Schweinehund
angekommen, beim Dolchstoß in den Rücken, bei der unbesiegten deutschen Armee
und beim Gelöbnis für unsere toten Helden, sie zu ehren, sie zu rächen und die
deutsche Armee wieder aufzubauen.
Heinrich
Kroll hört andächtig zu; er glaubt jedes Wort. Kurt Bach, der als Schöpfer des
Löwen mit der Lanze in der Flanke auch eingeladen worden ist, starrt verträumt
auf das verhüllte Denkmal. Georg sieht aus, als gäbe er sein Leben für eine
Zigarre; und ich, im geborgten kleinen Gesellschaftsanzug, wollte, ich wäre zu
Hause geblieben und schliefe mit Gerda in ihrem weinumrankten Zimmer, während
das Orchestrion aus dem Altstädter Hof die Siamesische Wachtparade klimpert.
Wolkenstein
schließt mit einem dreifachen Hurra. Die Kapelle intoniert das Lied vom guten
Kameraden. Der Sängerchor singt es zweistimmig. Wir alle singen mit. Es ist ein
neutrales Lied, ohne Politik und Rache – einfach die Klage um einen toten
Kameraden.
Die
Pastoren treten vor. Die Hülle des Denkmals fällt. Kurt Bachs brüllender Löwe
kauert oben darauf. Vier auffliegende Bronzeadler sitzen auf den Stufen. Die
Gedenktafeln sind aus schwarzem Granit, die übrigen Steine sind quaderförmig
bossiert. Es ist ein sehr teures Denkmal, und wir erwarten die Zahlung dafür
heute nachmittag. Sie ist uns versprochen worden, und deshalb sind wir hier.
Wenn wir sie nicht bekommen, sind wir nahezu bankrott. Der Dollar ist in der
letzten Woche um fast das Doppelte gestiegen.
Die
Pastoren segnen das Denkmal ein; jeder für seinen Gott. Ich habe im Felde, wenn
wir zum Gottesdienst befohlen wurden und die Pastoren der verschiedenen
Bekenntnisse für den Sieg der deutschen Waffen beteten, oft darüber
nachgedacht, daß ja ebenso englische, französische, russische, amerikanische,
italienische und japanische Geistliche für die Siege der Waffen ihrer Länder
beteten, und ich habe mir Gott dann so vorgestellt wie eine Art von eiligem
Vereinspräsidenten in Nöten, besonders wenn zwei gegnerische Länder des
gleichen Bekenntnisses beteten. Für welches sollte er sich entscheiden? Für das
mit den meisten Einwohnern? Oder das mit den
Weitere Kostenlose Bücher