E.M. Remarque
Wahnsinnspreisen
versinkt, wie Gaston Münch als Geist Hamlets im Stadttheater, jäh in der
Versenkung. Köstlich stille Tage mit belegten Butterbroten und selbstgemachtem
Kartoffelsalat tauchen vor mir auf! Das einfache Leben! Die irdische Liebe! Der
Friede der Seele! Endlich! Sauerkraut meinetwegen, aber Sauerkraut kann auch
etwas Herrliches sein! Mit Ananas zum Beispiel, in Champagner gekocht. Ich habe
es zwar noch nie so gegessen, aber Eduard Knobloch behauptet, es sei ein
Gericht für regierende Könige und Poeten.
«Gut,
Gerda», sage ich gemessen. «Wenn du es absolut willst, gehen wir im Wald
spazieren.»
VIII
Das Dorf Wüstringen
prangt im Flaggenschmuck. Wir sind alle versammelt – Georg und Heinrich Kroll,
Kurt Bach und ich. Das Kriegerdenkmal wird eingeweiht, das wir geliefert haben.
Die
Pfarrer beider Bekenntnisse haben morgens in der Kirche zelebriert; jeder für
seine Toten. Der katholische Pfarrer hat den Vorteil dabei gehabt; seine Kirche
ist größer, sie ist bunt bemalt, hat bunte Fenster, Weihrauch, brokatene
Meßgewänder und weiß und rot gekleidete Meßdiener. Der Protestant hat nur eine
Kapelle, nüchterne Wände, einfache Fenster, und jetzt steht er neben dem
katholischen Gottesmann wie ein armer Verwandter. Der Katholik ist geschmückt
mit Spitzenüberwürfen und umringt von seinen Chorknaben; der andere hat einen
schwarzen Rock an, und das ist seine ganze Pracht. Als Reklamefachmann muß ich
zugeben, daß der Katholizismus Luther in diesen Dingen weit überlegen ist. Er
wendet sich an die Phantasie und nicht an den Intellekt. Seine Priester sind
angezogen wie die Zauberdoktoren bei den Eingeborenenstämmen; und ein
katholischer Gottesdienst mit seinen Farben, seiner Stimmung, seinem Weihrauch,
seinen dekorativen Gebräuchen ist als Aufmachung unschlagbar. Der Protestant
fühlt das; er ist dünn und trägt eine Brille. Der Katholik ist rotwangig, voll
und hat schönes, weißes Haar.
Jeder
von beiden hat für seine Toten getan, was er konnte. Leider sind unter den
Gefallenen auch zwei Juden, die Söhne des Viehhändlers Levi. Für sie ist kein
geistlicher Trost vorhanden. Gegen die Zuziehung des Rabbis haben beide
gegnerischen Gottesmänner ihre Stimmen vereint – zusammen mit dem Vorsitzenden
des Kriegervereins, Major a. D. Wolkenstein, einem Antisemiten, der fest davon
überzeugt ist, daß der Krieg nur durch die Juden verloren wurde. Fragt man ihn
warum, dann bezeichnet er einen sofort als Volksverräter. Er war sogar dagegen,
daß die Namen der beiden Levis auf die Gedenktafel eingraviert würden. Er
behauptet, sie seien bestimmt weit hinter der Front gefallen. Zum Schluß wurde
er jedoch überstimmt. Der Gemeindevorsteher hatte seinen Einfluß geltend
gemacht. Sein Sohn war 1918 im Reservelazarett Werdenbrück an Grippe gestorben,
ohne je im Felde gewesen zu sein. Er wollte ihn auch als Helden auf der
Gedenktafel haben und erklärte deshalb, Tod sei Tod und Soldat Soldat – und so
bekamen die Levis die untersten zwei Plätze auf der Rückseite des Denkmals, da,
wo die Hunde es wahrscheinlich anpissen werden.
Wolkenstein
ist in voller kaiserlicher Uniform. Das ist zwar verboten, aber wer tut schon
etwas dagegen? Die seltsame Verwandlung, die bald nach dem Waffenstillstand
begann, ist immer weitergegangen. Der Krieg, den fast alle Soldaten 1918 haßten,
ist für die, die ihn heil überstanden haben, langsam zum großen Abenteuer ihres
Lebens geworden. Sie sind in den Alltag zurückgekehrt, der, als sie noch in den
Gräben lagen und auf den Krieg fluchten, ihnen als Paradies erschien. Jetzt ist
es wieder Alltag geworden, mit Sorgen und Verdruß, und
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