E.M. Remarque
Kohlenbecken Frankreichs? Hat man uns die
Ruhr weggenommen? Nein, wir haben sie noch! Willst du behaupten, daß unser
Friedensvertrag nicht zehnmal härter geworden wäre, hätten wir nur einen
diktieren können? Habe ich deine große Schnauze darüber nicht selbst noch 1917
gehört? Frankreich sollte ein Staat dritten Ranges werden, riesige Stücke
Rußlands müßten annektiert werden, und alle Gegner hätten zu zahlen und
Sachwerte abzuliefern bis zum Weißbluten! Das warst du, Heinrich! Jetzt aber
brüllst du im Chor mit über die Ungerechtigkeit, die uns angetan wurde. Es ist
zum Kotzen mit eurem Selbstmitleid und eurem Rachegeschrei! Immer ist ein
anderer schuld! Ihr stinkt vor Selbstgerechtigkeit, ihr Pharisäer! Wißt ihr
nicht, daß das erste Zeichen eines Mannes darin besteht, daß er dafür einsteht,
was er getan hat? Euch aber ist nie etwas anderes als das größte Unrecht
geschehen, und ihr unterscheidet euch nur in einem von Gott – Gott weiß alles,
aber ihr wißt alles besser.»
Georg
sieht sich um, als erwache er. Sein Gesicht ist jetzt so rot wie sein Pyjama,
und sogar die Glatze hat eine rosige Farbe. Heinrich ist erschreckt
zurückgewichen. Georg folgt ihm. Er ist sehr wütend. Heinrich weicht weiter
zurück. «Steck mich nicht an!» schreit er. «Du bläst mir ja deine Bazillen ins
Gesicht! Wohin soll das führen, wenn wir beide die Grippe haben?»
«Niemand
dürfte mehr sterben», sage ich.
Es
ist ein schönes Bild, die kämpfenden Brüder zu sehen. Georg im roten
Satinpyjama, schwitzend vor Wut, und Heinrich im kleinen Gesellschaftsanzug,
voller Sorge, die Grippe zu erwischen. Die Szene wird außer mir noch von Lisa
beobachtet, die in einem Morgenrock mit eingedruckten Segelschiffen trotz des
Wetters weit aus dem Fenster hängt. Im Hause Knopf steht die Tür offen. Der
Regen hängt wie ein Vorhang von Glasperlen davor. Es ist so dunkel drinnen, daß
die Mädchen bereits Licht gemacht haben. Man könnte glauben, sie schwämmen da
herum wie die Rheintöchter Wagners. Unter einem riesigen Schirm wandelt der
Tischler Wilke wie ein schwarzer Pilz über den Hof. Heinrich Kroll
verschwindet, buchstäblich von Georg aus dem Büro gedrängt. «Gurgeln Sie mit
Salzsäure», rufe ich ihm nach. «Grippe ist bei Leuten Ihres Schlages tödlich.»
Georg
bleibt stehen und lacht. «Was bin ich für ein Idiot», sagt er. «Als ob die
Sorte je etwas lernen würde!»
«Woher
hast du das Pyjama?» frage ich. «Bist du in die kommunistische Partei
eingetreten?»
Händeklatschen
kommt von gegenüber. Lisa überschüttet Georg mit Beifall – ein starkes Stück
von Disloyalität gegen Watzek, den aufrechten Nationalsozialisten und künftigen
Schlachthofdirektor. Georg verneigt sich, die Hand aufs Herz gedrückt. «Leg
dich ins Bett», sage ich. «Du bist ja ein Springbrunnen, so schwitzest du!»
«Schwitzen
ist gesund! Schau dir den Regen an! Da schwitzt der Himmel. Und drüben das
Stück Leben, in seinem offenen Morgenrock, mit weißen Zähnen und voll von Gelächter!
Was tun wir hier? Warum zerspringen wir nicht wie Feuerwerk? Wenn wir einmal
richtig wüßten, was Leben ist, würden wir zerspringen! Wozu verkaufe ich
Denkmäler? Warum bin ich nicht eine Sternschnuppe? Oder ein Vogel Greif, der
über Hollywood hinstreicht und die wunderbarsten Frauen aus ihren Swimmingpools
raubt? Weshalb müssen wir in Werdenbrück leben und Kämpfe im Café Central
haben, anstatt eine Karawane nach Timbuktu auszurüsten und mit mahagonifarbenen
Trägern in den weiten afrikanischen Morgen zu ziehen? Warum haben wir kein
Bordell in Yokohama? Antworte! Es ist wichtig, das sofort zu wissen! Warum
schwimmen wir nicht mit purpurnen Fischen um die Wette in den roten Abenden von
Tahiti?
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