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Emerald: Hörspiel

Titel: Emerald: Hörspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Stephens , Alexandra Ernst
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geöffnet hatte und sechzig verängstigte Kinder auf den Gang geströmt waren. Einige Sekunden lang lag Aufruhr in der Luft, während Michael versuchte, sich Gehör zu verschaffen.
    »Bitte, ihr müsst leise sein, bitte …«
    Wenn nicht der Kreischer um Ruhe gebrüllt hätte, hätte Michael vollends die Kontrolle über die Kinder verloren. Aber die Kinder waren so erschrocken, Worte aus dem Mund eines Morum Cadi zu hören, dass sie umgehend verstummten.
    »Gut«, sagte Michael, »und jetzt …«
    »Du!«
    Er wirbelte herum und stand Stephen McClattery gegenüber.
    »Was machst du denn hier? Und wieso kann dieses Biest plötzlich sprechen?«
    Ein paar Sekunden lang starrte Michael ihn bloß an. Erst kürzlich hatte dieser Junge ihn hängen wollen. Michael fühlte fast noch den Strick um seinen Hals.

    »Also?«
    Die Erinnerung abschüttelnd, erklärte Michael in so kurzen Worten wie möglich die Situation: dass er und Dr. Pym gekommen waren, um sie zu retten, dass Dr. Pym ein Zauberer war und den Kreischer zum Sprechen gebracht hatte, dass Kate von der Gräfin gefangen gehalten wurde und dass sie die Kinder so schnell wie möglich vom Boot bringen mussten …
    »Ihr müsst mir glauben«, stammelte Michael. »Wir haben keine Zeit, um …«
    »Alles klar«, sagte Stephen McClattery, »dann nichts wie weg.«
    Der rothaarige Junge scheuchte die stummen, immer noch furchtsamen Kinder an Deck, wo er Michael half, die zwanzig jüngsten auszuwählen. Gemeinsam schafften Stephen und der Kreischer die Kinder über die Leiter zu Michael ins Boot. Michael hoffte die ganze Zeit, dass Kate und Dr. Pym an der Reling auftauchen würden – Kate lächelnd und unversehrt, Dr. Pym mit der Nachricht, dass die Gräfin erledigt und alles in Ordnung sei. Aber dann war das Boot voll und seine Schwester war immer noch nicht aufgetaucht. Stephen erklärte, er würde zurückbleiben und auf die anderen aufpassen, bis Michael mit dem leeren Boot zurückkäme.
    »Ich weiß, dass du wiederkommst. Ich hätte dir gleich glauben sollen. Du und deine Schwestern, ihr seid in Ordnung.«
    »Da ist noch etwas«, sagte Michael. »Dein Vater ist auf dem Weg hierher.«
    Stephen McClattery hing an der Leiter, einen Fuß auf dem Bug von Michaels Boot. Wie ein Fisch klappte er den Mund auf und zu.
    »Meine Schwestern und ich haben ihn in der toten Stadt
getroffen«, fuhr Michael fort. »Er weiß, dass du am Leben bist. Er ist mit den anderen Männern aus Cambridge Falls auf dem Weg hierher.«
    Eine ganze Weile rührte sich niemand. Nur das Boot schaukelte sanft auf dem Wasser.
    »Ähm, tut mir leid«, sagte Michael, »aber wir müssen los.«
    Der Junge schluckte und nickte, aber noch immer sagte er nichts. Aber den Ausdruck in seinen Augen würde Michael niemals vergessen. Stephen stieß das Boot ab, und als es davonglitt, sah Michael, wie sich der Junge mit der Hand über das Gesicht fuhr und dann die Leiter wieder nach oben kletterte.
    Annie, das Mädchen, das die Gräfin damals über den Abgrund hatte baumeln lassen, saß neben Michael im Boot.
    »Keine Sorge«, sagte er zu ihr. »Wir kriegen sie alle da raus.« Sie nickte ihm zu und umklammerte mit beiden Händen ihre Puppe.
    Es dauerte einen Moment, bis die Ruderer ihren Rhythmus gefunden hatten. Anfangs platschten die Ruder nutzlos auf das Wasser und das kleine Boot kam so gut wie gar nicht voran. Einmal drehte es sich gar im Kreis. Aber Michael übernahm das Kommando und brachte die Ruderer mit einem stetigen »Eins – zwei, eins – zwei …« dazu, sich zu organisieren. Es dauerte nicht lange, bis sie sich in einem guten Tempo vorwärtsbewegten.
    Auf halbem Weg ans Ufer schmerzte Michaels Rücken dermaßen, dass er gerade Dr. Pym verfluchen wollte, weil der darauf bestanden hatte, das Boot wieder zu entzaubern, als ein Donnerschlag über das Wasser rollte und eine riesige Fontäne neben dem Damm in die Luft schoss. Er packte Annie und schrie
allen zu, sich irgendwo festzuhalten; nur Sekunden später rollte die Schockwelle über sie hinweg.
    Dann packte Michael die Ruder und schrie: »Los! Los! Los!«
     
     
    »Er kommt, er wird gleich hier sein … Wie kann das sein? Was soll ich bloß tun?«
    »Ich hätte vermutet, dass Sie sich auf diese Möglichkeit vorbereitet haben, bevor Sie anfingen, Ihren Meister zu betrügen.«
    »Schweigen Sie!«
    Das Licht war zurückgekehrt, aber die Geigenmusik wurde mit jeder Sekunde lauter. Die Gräfin lief in der Kajüte auf und ab, das Buch an die Brust gedrückt.

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